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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sich einzelne Bruchstücke zu einem großen Bild zusammen.
    »Trotzdem«, gab ich zu bedenken, »welchen Sinn hätte es für den Borgia gehabt, sich eine Armee hellblonder, weißhäutiger Mörder heranzuzüchten?« Nun, da ich es aussprach, schien es noch ungleich absurder.
    Faustus hob die Schultern und lächelte schwach. »Lieber Wagner, eben diese Frage wird mir auf dem Weg zum Scheiterhaufen zu denken geben. Und ich fürchte, daß ich die Antwort nicht mehr erfahren werde. Eine elende Vorstellung, bei meiner Treu!«
    »Sagt so etwas nicht«, bat ich flehend.
    Was sollte aus mir und Angelina werden, wenn Faustus nicht mehr war?
    Angelina!
    Herrgott, ich hatte sie völlig vergessen.
    Sie war eine der Erleuchteten! Mußte das nicht bedeuten, daß auch sie –
    Ich kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu denken. Angelina war schneller. Plötzlich legten sich ihre weißen, schmalen Hände von hinten um den Hals des Paters. Gleichzeitig hieb sie ihm ein Knie in den Rücken. Gregorius ging mit einem heiseren Keuchen zu Boden.
    Ich riß den Mund auf, doch der Schrei blieb mir im Halse stecken. Das entstellte Mädchen bildete mit Zeige-und Mittelfinger ihrer rechten Hand ein V und rammte es in die winzigen Schweinsaugen das Paters.
    Faustus überwand seine Überraschung um ein Vielfaches schneller als ich selbst. Er warf sich auf Angelina und wollte sie von Gregorius zerren, doch sie entwand sich ihm mit kraftvoller Geschicklichkeit. Ihre Wunden mußten sie vor Schmerzen fast um den Verstand bringen, und doch schien ihr einziges Streben der Tod des Paters zu sein. Als hätte sie sich erst jetzt wieder an ihren eigentlichen Auftrag erinnert.
    Faustus packte sie erneut, und diesmal ging er gezielter vor. Er holte aus und schlug ihr mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter. Ihr Zustand würde sich dadurch kaum verschlimmern, doch der Schmerz mußte höllisch sein. Er mußte sie einfach außer Gefecht setzen.
    Die Rechnung ging auf.
    Ehe Gregorius sein Augenlicht einbüßen mußte, ließ Angelina von ihm ab und krümmte sich vor Pein. Aus ihrem Mund drang erst ein Keuchen, dann ein Schrei. Der erste Laut, den ich überhaupt von ihr hörte! Mußte das nicht bedeuten, daß sie auch sprechen konnte?
    Mir blieb keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn im selben Moment wurde von außen gegen die Tür gehämmert. Asendorfs Männer mußten den Tumult gehört haben. Der Eingang war noch immer verschlossen, und nun mochten sie erstmals bereuen, daß sie ihn nicht öffnen konnten. Mit einem Streit unter den Gefangenen hatte keiner gerechnet.
    »He, was ist los?« rief eine gedämpfte Stimme durch das Holz.
    Der Soldat wartete vergeblich auf Antwort. Faustus dachte nicht daran, und Angelina und der Pater waren mit sich selbst und ihrem Schmerz beschäftigt.
    Vor der Tür ertönte aufgeregtes Gerangel. Offenbar sandte man nach Asendorf. Der Inquisitor sollte entscheiden, was zu tun war.
    Dabei erinnerte ich mich erstmals wieder an DeAriel. Wo war der Kardinal? Hielt er sich auch in der Burg auf? Seine Stimme zumindest hatte ich vorhin nicht gehört. Nur die von Asendorf. Doch das mußte nichts bedeuten.
    Aber natürlich! DeAriel! Warum nur hatte ich nicht früher an ihn gedacht? Hatte es nicht geheißen, er selbst hätte den Auftrag, die Mordbrenner ausfindig zu machen? Welch üble List! Der Vatikan schickte mit seinen Mördern gleich denjenigen, der sie nach außen hin überführen sollte. Dabei war seine wahre Aufgabe die, das Treiben der Mordbrenner zu decken und durch falsche Ermittlungen zu vertuschen. Nur so und nicht anders war seine Anwesenheit an Asendorfs Seite zu erklären.
    Doch es blieb keine Zeit, über die Hintergründe des vatikanischen Komplotts nachzudenken. Soviele Fragen blieben offen: Was steckte hinter dem Plan des Borgia, sich eine Armee von Mördern mit Engelsgesichtern heranzuziehen? Und warum zeigte man in Rom selbst heute noch, dreizehn Jahre und drei Päpste später, Interesse an der Vertuschung jener Ereignisse von 1502?
    »Angelina«, sagte ich leise. »Angelina, hör mir zu!«
    Sie schien einen Augenblick zu zögern, dann unterdrückte sie ihren Schmerz und sah mich an. Ihr erstarrtes Gesicht verriet keinen ihrer Gedanken. Zumindest machte sie keinen weiteren Versuch, sich auf Gregorius zu stürzen.
    »Du verstehst uns, nicht wahr?« sagte ich. Es war keine wirkliche Frage. Ihr Angriff auf den Pater hatte sie verraten. Die ganze Zeit über hatte sie uns im Ungewissen gelassen, ob sie unsere

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