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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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den Füßen voran. Vor allem die scharfe Abzweigung bereitete mir Sorgen. Ich hatte gerade meinen Unterkörper um die Ecke gebogen, als ich mit einem Mal feststeckte. Ich kam nicht vor und nicht zurück. Panik überflutete mein Denken. Plötzlich war ich sicher, nie mehr ans Tageslicht zu kommen. Ich ruckte, schob und zerrte, immer schneller, immer verzweifelter, bis es mir schließlich doch noch gelang, vollends um die Ecke zu kriechen. Dabei gab ich mir alle Mühe, keine lauten Geräusche zu verursachen, doch es war keine Frage, daß das Rascheln meiner Kleidung bis hinaus auf den Gang zu hören sein mußte. Ich hoffte inständig, daß die beiden Landsknechte Ratten im Schacht vermuten würden. Ohnehin war es mir ein Rätsel, wie ich unbemerkt hinaus auf den Gang gelangen sollte, ohne daß die Soldaten bemerkten, daß sich gleich neben ihnen zwei Füße, dann Beine und schließlich ein ganzer Kerl aus der Wand schoben. Sie würden mich in aller Ruhe in Scheiben schneiden, ehe ich überhaupt bis zum Knie im Freien war.
    Gemartert von bösen Vorahnungen blieb ich ausgestreckt liegen und dachte nach. Ich schmiedete allerlei unsinnige Pläne und verwarf sie wieder. Meine Schuhsohlen mußten jetzt noch etwa eine Elle von der Öffnung in der Flurwand entfernt sein. Was mir fehlte, war die rechte Gelegenheit, in der die beiden Wachmänner abgelenkt waren.
    Als hätte man mein stummes Flehen erhört, ertönte plötzlich ein Schrei. Dann lautes Schimpfen und Hilferufe.
    Natürlich! Gregorius! Ich wußte nicht, ob er wirklich mit Angelina stritt oder nur mein Dilemma erkannt hatte. Wie auch immer – sein Gezänk erfüllte seinen Zweck. Ich hörte, wie die Landsknechte fluchend in die Kammer stürmten.
    Das war der Moment, den ich nutzte. Eilig schlüpfte ich rückwärts kriechend aus dem Schacht, in der Hoffnung, daß beide Männer mit ihren Gefangenen beschäftigt waren. Zu meinem Glück blieb ich unbemerkt. Ich packte das Schwert und sprang auf die Füße.
    Der Gang war leer. Die eingetretene Tür der Geheimkammer stand offen. Ich machte einige Schritte darauf zu und blickte vorsichtig um die Ecke in den Raum. Gregorius und Angelina saßen immer noch mit gebundenen Händen am Boden. Das Mädchen trat mit beiden Füßen nach ihm, während der dicke Pater blasphemische Flüche ausstieß.
    Die beiden Landsknechte standen davor und hatten mir den Rücken zugewandt. Das merkwürdige Schauspiel schien sie zu belustigen. Einer lachte leise.
    Das Lachen verging ihm, als ich ihm die Schwertklinge von hinten handbreit in die Schulter hieb. Der Angriff war keineswegs ehrenvoll, doch hier ging es nicht um Anstand oder Kampfesruhm. Schreiend brach der Mann zusammen. Eine Blutfontäne schoß als roter Fächer aus der Wunde. Der andere Landsknecht fuhr herum und riß seinerseits das Schwert hoch. Viel zu langsam. Meine Klinge durchstieß seine Brust, bevor er überhaupt begriff, wie ihm geschah. Sein Blut spritzte über Gregorius’ Kutte, dann brach auch er zusammen. Sein verletzter Gefährte lebte noch; er patschte ungläubig mit der linken Hand in der entsetzlichen Wunde herum und winselte um Gnade. Das Leben quoll ihm dunkelrot zwischen den Fingern hervor. Es war nicht nötig, ihn zu töten. Er würde jeden Augenblick an der Blutung sterben.
    Es war das erste Mal, daß ich einem anderen das Leben nahm. Man sollte meinen, daß mich dieser Augenblick zeichnete. Daß er mich schockierte, entsetzte oder auf andere Weise berührte. Doch alles, was ich empfand, war – nichts! In meinem Kopf war nur die Angst um Angelina und die Furcht vor Entdeckung durch weitere Schergen des Hexenjägers. Alles andere blieb außen vor. Ich empfand nicht mehr, als hätte ich einen hungrigen Wolf erschlagen, der sich in den Wäldern auf mich stürzte – der Wille zu überleben nahm mir in gleichem Maße alle Furcht und mein Gewissen.
    Erst viel später begriff ich die wahre Tragweite dieses Moments.
    Gregorius starrte ungläubig auf das grausige Schlachtfest, dann auf die frischen Flecken im Stoff seiner Kutte. Willenlos ließ er zu, daß ich seine Fesseln durchschnitt. Ganz anders Angelina: Sie sprang sofort auf, nachdem ich sie befreit hatte, achtete nicht auf die rote Pfütze, in der ihre Füße standen, und riß den Pater auf die Beine. Offenbar war der letzte Streit zwischen den beiden doch nur gespielt gewesen; Angelina schien den Haß, den man ihr eingepflanzt hatte, überwunden zu haben. Ihr eigener Wille gewann die Oberhand.
    »Los, kommt!« Ich

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