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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie zu melden und fortan darüber zu schweigen. Auch ich fand ein solches Kind in meiner Gemeinde und meldete den Namen der Eltern einem persönlichen Gesandten des Papstes, der allein zu diesem Zweck durch die Lande zog. Und was glaubt Ihr, geschah? Zwei Tage später verschwand die Familie vom Erdboden.«
    »Sie wurde ermordet?« fragte ich tonlos.
    Der Pater holte tief Luft. »Man fand keine Leichen und kein Blut. Alles, was blieb, war ein leeres Haus. Damals wußte ich nicht, daß anderswo ähnliche Dinge geschahen, daher nahm ich an, die Familie, die ich selbst gemeldet hatte, sei vielleicht mit dem Gesandten gezogen oder, schlimmstenfalls, vor ihm davongelaufen. Ich hatte nicht die mindeste Ahnung, was der Papst mit diesen Menschen vorhatte, aber natürlich war ich überzeugt, daß es eine gute Sache war, etwas, das zu Ehren des Herrn geschah. Erst später erkannte ich ein Stück der Wahrheit. Durch eine Reihe von Zufällen erfuhr ich, daß in anderen Gemeinden, weit verstreut über das ganze Reich, ähnliche Gesandte aufgetaucht waren. Und auch dort schien es, als habe der Boden die betreffenden Familien verschluckt. Alle verschwanden ohne eine Spur. So begann ich, mit meinen bescheidenen Mitteln Nachforschungen anzustellen, und ganz allmählich erfuhr ich, daß die Kinder von den Gesandten nach Süden gebracht worden waren – nach Rom. In den Annalen der Kirchenschreiber wird dieser Vorfall als Auszug der Erleuchteten geführt, oder auch als Zug der Engel.«
    Da war es wieder, das gefürchtete Wort.
    Engel.
    »Was geschah mit den Eltern?« fragte Faustus. »Brachte man auch sie nach Rom?«
    Der Pater senkte betreten den Blick. »All jene, mit denen ich sprach, Menschen also, die die Gesandten auf ihrem Weg beobachteten, erwähnten stets nur die Kinder. Von ihren Eltern hatte keiner etwas bemerkt. Ich glaube nicht, daß sie jemals nach Rom gelangten. Und im Lichte der neuen Ereignisse befürchte ich das Schlimmste für sie.«
    »Aber… das ist unmöglich«, keuchte ich atemlos. »Der Papst mag ein Wahnsinniger gewesen sein, vielleicht gar ein Satansjünger. Aber er konnte unmöglich all diese Kinder entführen und ihre Eltern ermorden…«
    »Meint Ihr?« fragte Gregorius und sah fast ein wenig mitleidig zu mir herab. »Die Päpste haben über die Jahrhunderte hinweg ganz Städte ausrotten lassen. Sie haben Kriege geführt und ritten höchstpersönlich an der Spitze ihrer Armeen. Hunderttausende wurden getötet, gemartert –«
    »– und verbrannt « , fügte Faustus trocken hinzu.
    Fast hätte ich gegrinst. Nur fast.
    Gregorius ließ sich dadurch nicht beirren. »Kein weltlicher Herrscher hat in den letzten fünfhundert Jahren so grausam regiert wie einige der Stellvertreter Petri. Und Alexander war einer der Schlimmsten.«
    Faustus blieb gelassen. »Nehmen wir an, Ihr hättet recht mit Eurer Annahme. Was hätte der Borgia dann mit den Kindern anfangen sollen?«
    Natürlich mußte auch Faustus längst zu einem ähnlichen Schluß gekommen sein wie ich selbst: Daß nämlich die weißhaarigen Krieger draußen im Wald niemand anders waren als eben jene Kinder, dreizehn Jahre nach ihrer Entführung durch den Heiligen Schlächter. Sie alle waren geworden wie ihre Eltern – weißhaarig und wunderschön, dazu voller Kraft und Geschicklichkeit. Nur die Entschlossenheit, mit der sie anderen nach dem Leben trachteten, mußte ihnen von Alexanders Häschern eingepflanzt worden sein.
    Gregorius gab die gleiche Antwort: »Der Papst hat diese Kinder zu Mördern gemacht. Mörder, die jetzt den Auftrag haben, auch die letzten Spuren ihrer Existenz zu tilgen. Deshalb wollten sie mich töten. Ich selbst und einige andere Priester sind die einzigen, die noch vom Auszug der Erleuchteten wissen.«
    »Warum aber sollten sie so lange damit gewartet haben?« wollte ich wissen.
    Es war natürlich eine dumme Frage.
    Faustus bewies, daß er längst viel weiter gedacht hatte. »Sagt, Gregorius, wißt Ihr noch, wieviele Jahre das Kind zählte, das Ihr dem Gesandten gemeldet habt?«
    »Nicht mehr als fünf.«
    »Demnach wäre es heute achtzehn.«
    »In der Tat.«
    Mein Meister sah mich durch das Gitter an. »Und wie alt waren die Männer und Frauen, die du im Wald beobachtet hast?«
    »Es war dunkel, und ihre Schönheit verschleierte ihr wahres Alter. Sie sahen sich alle sehr ähnlich, fast wie Geschwister. Mag sein, daß sie nicht mehr als achtzehn Lenze zählten.«
    Die beiden anderen nahmen es schweigend zur Kenntnis. Wieder fügten

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