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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Umständen. Es hieß, er habe vor seiner Wahl zum Papst einen Pakt mit dem Teufel unterzeichnet und seine Seele dem Leibhaftigen versprochen – im zwölften Jahr seiner Herrschaft. Als der gefürchtete Tag nun nahte, flehte der Papst seinen höllischen Gönner vergeblich um Aufschub an. Daraufhin ergriff ihn eine tödliche Krankheit, die ihn unter entsetzlichen Qualen ans Bett fesselte. Man munkelte, sieben Dämonen hätten in der Gestalt schwarzer Affen an seiner Seite Wache gestanden, während der Papst im Todeskampf die Hände um die Brüste seiner Dirnen krallte.
    Als Alexander endlich starb, begann seine Haut zu kochen, Blasen quollen ihm aus Mund und Nase, und seine Glieder schwollen an, bis nichts Menschliches mehr an ihnen war. Die Zunge, die ihm gespalten aus dem Maul hing, färbte sich schwarz und verbreitete ihre Fäulnis auf den ganzen Körper. Überall in der Stadt veranstalteten schwarze Hunde einen teuflischen Lärm, sie bellten und jaulten und weinten mit Kinderstimmen. Einige Nonnen, die sich in einer kleinen Kapelle nahe des Vatikans hatten einmauern lassen, um ihr Lebensende in freiwilliger Klausur zu verbringen, sollen daraufhin schreiend um Erlösung gebeten haben und seien, so die Gerüchte, aus ihrem gewählten Gefängnis befreit worden. Keine von ihnen fand den Weg zurück in Gottes Schoß; sie wurden zu Lustsklavinnen bösartiger Satansdiener und beschlossen ihr Dasein im tiefsten Sündenpfuhl.
    Niemand brachte es über sich, den aufgequollenen Leichnam des Borgia-Papstes zu berühren. Deshalb schleppten ihn die Totengräber an Seilen aus seinen Gemächern, zwängten ihn mit Schaufeln in einen viel zu engen Sarg und verscharrten ihn in geheiligter Erde. Dann erst soll das satanische Treiben, das in jener Nacht über die Stadt gekommen war, ein Ende gefunden haben.
    (Ihr, zweifelnder Leser, glaubt mir natürlich kein Wort. Ihr seht, ich kenne Euch gut! Und doch haben weisere Männer, als ich einer bin, auf dieser Schilderung beharrt. Selbst meinem Meister konnte ich kein Wort des Widerspruchs entlocken, als wir über den verfluchten Borgia sprachen. Das Jahr 1515, der Zeitpunkt meiner Erzählung, war laut Kalender das zwölfte Jahr nach dem Ende der zwölfjährigen Amtschaft Alexanders – eine Übereinstimmung, die von Bedeutung sein mochte. Nun ist die Zahl Zwölf nach den Lehren der Kabbala das Sinnbild für Seligkeit und Heiligkeit – worin mir kaum ein Zusammenhang zum Borgia-Papst zu bestehen scheint. Betrachten wir aber das Todesdatum Alexanders genauer – er starb im August 1503 –, so stellen wir fest, daß unser Aufenthalt auf der Wartburg im Mai 1515 vor Abschluß des zwölften Jahres nach seiner Regentschaft stattfand. Was uns eine Zahl zurück zur Elf führt. Und die Elf, das lehrt Euch jeder Kabbalist, ist das Sinnbild der Sünde! Wen also mag es wundern, daß das Treiben des Teufelspapstes mit einem Mal an neuer Bedeutung gewann? Es ist keine Übertreibung, wenn ich behaupte, daß seine Geisterkrallen noch aus dem Grabe nach uns griffen. Und wer glaubt, meine Rechnung prüfen zu müssen, der sollte sein Talent lieber aufs Schafe zählen oder das Eintreiben von Steuern verwenden – ein wahrer Okkultist wird aus ihm nie.)
    Doch wo war ich stehengeblieben? Richtig, bei Pater Gregorius.
    »Im Jahre 1502 ließ Alexander einen geheimen, päpstlichen Erlaß an all seine Priester überstellen«, fuhr der in seiner Erklärung fort. »Darin verlangte er, daß man ihm Auskunft über bestimmte Kinder gebe – nicht irgendwelche, versteht sich. Es mußten solche sein, deren Eltern hellblonde Haare hatten und durch Schönheit, Geschick und Klugheit aufgefallen waren.«
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf, wollte ihn aber nicht durch Fragen unterbrechen.
    Auch Faustus blickte verständnislos drein.
    »Ihr vermögt Euch vorzustellen, daß dies keine einfache Aufgabe war«, sagte Gregorius. »Die Auswahl der Haarfarbe beschränkte die Suche auf die Länder des Nordens. Zudem bestand Alexander darauf, daß das Haar der Eltern nicht einfach ein schlichtes Blond sein durfte – nein, beinah weiß mußte es sein. Denn er wollte sichergehen, daß die Kinder sich genauso entwickelten. Und was Schönheit, Klugheit und Geschick anging: Auch sie mußten im Übermaß bei beiden Eltern vorhanden sein.« Er strich sich mit dem Handrücken den perlenden Schweiß von der Stirn. »Um es kurz zu machen: Alles in allem wurden wohl einige Dutzend Kinder ausfindig gemacht. Wir Priester wurden verpflichtet,

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