Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
rissen die Arme des Hexenjägers nach oben und hängten seine gefesselten Hände über den Aststumpf. Er war gerade niedrig genug, daß Asendorfs Zehenspitzen den Boden berührten. Er hing jetzt da, mit den Armen nach oben, den nackten, knöchernen Körper angespannt, während aus seinem Mund eine ganze Flut von Keuchlauten drang, die sich allmählich zu Worten formten.
»Bitte, tut das nicht!« Seine aufgerissenen Augen hingen wie gebannt an der glühenden Klinge, die einer der Männer jetzt aus dem Feuer zog.
»Wer sollte uns daran hindern?« fragte Lara.
»Ich gebe euch Gold. Viel Gold.«
Eine Antwort darauf war unter der Würde der Gauklerin.
»Was wollt ihr sonst? Ich tue alles, was ihr verlangt.«
»Zweifellos«, erwiderte Lara und nahm den Dolch entgegen.
»Aber das… das könnt ihr doch nicht machen!«
Lara hob die rotglühende Klinge und bewegte sie langsam auf Asendorfs Bauchnabel zu. »Du selbst hast es doch oft genug getan.«
»Großer Gott, nein! Bitte nicht!« winselte der Inquisitor.
Die Gauklerin legte ihre Linke auf Asendorfs Oberschenkel. Der Hexenjäger zuckte zusammen und schrie auf.
»Na?« fragte die Gauklerin. »Sind etwa das schon Schmerzen für dich?«
Die Dolchklinge wanderte vom Bauchnabel zur rechten Brustwarze, ohne jedoch die Haut zu berühren.
»Tut es nicht!« kreischte Asendorf.
Lara schob ihr Gesicht bis auf eine Fingerbreite an den Hexenjäger heran. »Erinnere dich an Gisbrand«, flüsterte sie ihm zu.
Es waren für lange Zeit die letzten Worte, die gesprochen wurden.
Faustus sah aus der Entfernung zu und schwieg. Er hatte schon Schlimmeres gesehen. Er hatte Asendorf bei der Arbeit erlebt.
Die Gaukler vergolten Gleiches mit Gleichem. Sie taten Asendorf all das an, was er ihrem Heiler angetan hatte – und vielleicht noch ein wenig mehr. Sie zerschnitten seine Brustwarzen, verbrannten seine Haare und Fußsohlen, schlugen ihm spitze Äste und Fichtennadeln unter die Nägel und rissen ihm einzelne Zähne heraus. Sie brachen seine Finger und zerrten an seinem Oberkörper, bis die Arme aus den Gelenken sprangen.
Als sie sich an Asendorfs Augen vergreifen wollten, beschloß Faustus, zurück in die Stadt zu reiten. Er hatte sich gerade abgewandt und wollte zu den Pferden gehen, als eine kleine Gestalt aus dem Unterholz brach.
»Eminenz! Eminenz!« schrie sie mit hoher Stimme, stürmte an Faustus vorüber und rannte auf Asendorf und seine Peiniger zu.
Das Gesicht des Bibelzwergs war tränenüberströmt, und er heulte laut auf, als er sah, was die Gaukler seinem Herrn angetan hatten. Der kleine Kerl griff nach einem Stock und wollte damit auf Lara einschlagen, als ihn einer der Männer zurückhielt.
Unverständliche Laute drangen aus dem Mund des Hexenjägers, Blut und Speichel quollen hervor. Er nahm nichts mehr wahr von dem, was um ihn herum vorging.
Der Bibelzwerg entwand sich dem Griff des Gauklers, sprang auf Asendorf zu und umarmte verzweifelt seine Beine. Er sah aus wie ein Kind, das sich an den geschundenen Leib seines Vaters klammerte.
Faustus blieb stehen und beobachtete, was weiter geschah. Sollten die Gaukler dem Kleinen ein Leid antun wollen, würde er eingreifen. Asendorf hatte seine Strafe verdient, doch der Zwerg war unschuldig. Faustus war nicht sicher, welchen Einfluß der kleine Mann auf den Hexenjäger hatte, und welche Rolle er in dessen Gefolge spielte; doch eine innere Stimme gebot ihm, den Zwerg zu schonen. Er mochte noch einmal von Wichtigkeit sein.
Lara zögerte einen Augenblick, dann gab sie ihren Männern ein Zeichen. »Laßt sie, alle beide!« befahl sie. »Für Asendorf wird es schlimmer sein, weiterzuleben.«
Die Gaukler gehorchten ohne Murren, wischten sich Blut und Schweiß von den Händen und folgten ihrer Anführerin. Sogleich begann der Bibelzwerg vergeblich, auf und ab zu hopsen, um Asendorf zu befreien. Faustus zog sein Schwert, trat zwischen den Gauklern hindurch vor den Gemarterten und zerschnitt seine Fesseln. Schweigend sackte der Hexenjäger zusammen und blieb gekrümmt und zitternd am Boden liegen. Der Zwerg ließ sich neben ihm auf die Knie fallen und weinte bitterlich.
Faustus, Lara und die beiden Gaukler wandten sich ab und gingen zurück zu den Pferden. Gemeinsam ritten sie den gewundenen Weg hinab in die Stadt. Irgendwo in der Ferne bellte Mephisto.
Hinter ihnen zuckte der erste Blitz vom schwarzen Himmel.
Es begann zu regnen.
***
Die Engel nahmen uns in einem engen Kreis in ihre Mitte. Ihre Schwerter
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