Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater
weil es nachteilig für Gwen sein könnte.« Das ergab wenig Sinn, war aber die einzige verbleibende Möglichkeit.
Angelina antwortete mit einem neuerlichen Nicken.
Ich dachte darüber nach. »Warum aber sollte sie das tun?« fragte ich ernüchtert, weil ich keine Lösung fand.
Angelina war schlau und hatte es keineswegs verdient, daß man einen ihrer Vorschläge als Unsinn abtat. Ich war mir jedoch sehr wohl bewußt, daß ihr Gedankengang zu verworren sein mußte, um ihn in ein schlichtes Symbol zu kleiden. Was immer sie auch meinen mochte, sie konnte es mir nicht mitteilen.
Sie selbst wußte das am besten und verzichtete auf einen Versuch. Statt dessen stand sie auf.
»Gut«, sagte ich schulterzuckend, »gehen wir.«
Bei Tag und vor dem Hintergrund des Nebelteppichs mußten wir schon von weitem zu erkennen sein, deshalb schlugen wir allerlei Haken, verbargen uns immer wieder hinter Ruinen und Büschen und näherten uns so ganz allmählich dem düsteren Gemäuer im Zentrum der Lichtung. Mir war klar, daß alle List nicht helfen würde, falls wirklich jemand nach uns Ausschau hielt, doch bei einem flüchtigen Blick aus dem Fenster mochte unser Versteckspiel uns vor Entdeckung bewahren.
Wie erreichten schließlich den Sockel des Hauses und entschieden, ihn an seinem Fuß zu umrunden. Ich wollte sicher sein, daß es wirklich keinen weiteren Zugang außer den beiden Freitreppen gab.
Schon nach kurzer Zeit wurden wir an der Ostseite fündig. Dort gab es eine hölzerne Tür, weder allzu hoch noch breit, eher eine Luke, die ins Innere des Steinsockels führte. Sie war aus massiven Eichenbohlen gezimmert und mit stählernen Beschlägen verstärkt, was jedes Eindringen vereitelt hätte – wäre sie nicht offen gewesen. Wahrlich, unser Erstaunen hätte nicht größer sein können, als wir feststellten, daß die Tür lediglich angelehnt war. Jemand mußte von innen den Riegel beiseite geschoben haben. Wann das geschehen war, ob vor Jahrzehnten oder erst gestern, ließ sich jedoch nicht mehr feststellen.
Hinter der Tür befand sich der Einstieg zu einem verlassenen Steinflur. Schmutz und Staub bedeckten den Boden fast knöchelhoch. Einst mußte dies der Dienstboteneingang gewesen sein, doch mit Aussterben der Hausherren vor Hunderten von Jahren waren auch die Diener verschwunden. Einen Augenblick lang packte mich die ungute Ahnung, daß dies auch die Tür gewesen sein mochte, die der Schlangenkönig und sein giftiges Gefolge benutzt hatten; durch diesen Gang gelangten sie schneller ins Haus als über die weitgeschwungenen Freitreppen.
Sogleich schalt ich mich einen Narren und lenkte meine Aufmerksamkeit darauf, unbemerkt ins Gebäude einzudringen. Weder Angelina noch ich hatten daran gedacht, eine Fackel mitzunehmen. So standen wir nun vor der Schwierigkeit, unser Vorhaben ohne Licht angehen zu müssen. Wir beschlossen daher, die Tür weit offenstehen zu lassen, selbst auf die Gefahr hin, daß irgendwer die Öffnung entdeckte. So fiel ein Abglanz des trüben Tageslichts in den finsteren Schacht. Wenigstens konnten wir nun mit einiger Mühe erkennen, wohin wir unsere Füße setzten.
Der Gang führte an zahlreichen Kammern vorbei. Die Türen der meisten standen offen, doch aufgrund des Mangels an Helligkeit war nicht zu erkennen, was sich dahinter befand. Wir machten uns auch nicht die Mühe, einen der fensterlosen Räume näher zu erforschen. Sicher hatte man sie einst als Lager und Vorratskammern genutzt. Auch war es möglich, daß ein allzu herzloser Edelmann hier seine Bediensteten einquartiert hatte; das Privileg eines Fensters galt auch heute noch bei vielen Dienstherren als Gunstbeweis und war keineswegs selbstverständlich.
Der Gang endete in einem runden Treppenhaus, in dem breite Steinstufen sowohl nach oben als auch nach unten führten. Es gab demnach einen Keller unter dem Haus, wahrscheinlich sogar mehrere. Zwei oder drei unterirdische Stockwerke waren bei Anwesen wie diesem nicht unüblich.
Angelina deutete nach oben. Ohne Fackeln machte es keinen Sinn, tiefer in die Erde hinabzusteigen. Zumal die Schüler des Traumvaters sich zweifellos in den oberen Räumen aufhielten.
Wir hatten die ersten Stufen der breiten Wendeltreppe erstiegen, als etwas an uns vorüberhuschte. Es gelang mir gerade noch, zu erkennen, daß es sich einmal mehr um die schwarze Katze handelte, dann verschwand sie schon hinter der nächsten Biegung. Sie rannte lautlos nach oben, mußte uns also durch den Gang gefolgt sein.
Angelina
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