Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
tödlich endet? Schlimm genug, wenn man darauf nur erwidern kann: Loyalität.« Er schüttelte sachte den Kopf. »Du musst mir die Frage nicht beantworten. Aber wenigstens dir selbst gegenüber solltest du ehrlich sein. Dann bist du vielleicht auch bereit für größere Wahrheiten.«
Dann drückte er seinem Roß die Fersen in die Flanken, sprengte an Angelina vorbei und setzte sich an die Spitze unseres kleinen Zuges. Einmal mehr war er der Antwort auf meine ursprüngliche Frage geschickt aus dem Weg gegangen.
Ich sah ihm nach, beobachtete dann Angelinas Silhouette, schlank und aufrecht im Sattel ihres Pferdes. Das Mondlicht brach sich auf den drei Schnallen ihrer Maske. Sie leuchteten an ihrem Hinterkopf wie ein Sternbild, herabgesunken aus der Schwärze der Nacht.
2. Kapitel
Ein unablässiger Menschenstrom schob sich durch das Borgo Leonino, das Viertel am Fuß des vatikanischen Hügels.
Händler und Knechte drängten sich in den engen Gassen. Soldaten und Künstler, Handwerker und Schreiber, Geistliche und Huren flanierten unter vorgewölbten Dächern. Wäscheleinen und Balustraden bildeten ein dichtmaschiges Spinnennetz über ihren Köpfen und verhinderten, dass der Klangteppich aus Dutzenden von Sprachen und noch mehr Dialekten weiter emporstieg, dem Antlitz des Himmels entgegen, vereinigt mit den Rauchfahnen der Feuer und dem Gestank des Schmutzes in der Gosse. Ochsen und Schafe schrien und blökten, Hunde und Katzen liefen zwischen den Stiefeln und Sandalen und schmutzigen Fußlappen der Masse, und nur wenn ein eiliger Reiter unter viel Geschrei Durchlass begehrte, klaffte der Menschenstrom für einen kurzen Moment auseinander wie Wasser an einem Stein im Flussbett, ließ den Schreihals ziehen und schloss sich augenblicklich wieder hinter dem Schweif seines Pferdes. Schweiß und Gewühl und Gebrüll, Trompeten und Kuhmist und vergossenes Bier, ein Spektakel, das beständig von einem Extrem ins andere kippte, von harter Arbeit zu vergnügtem Delirium.
Viele zogen in jenen Jahren zum Vatikan. Nicht alle waren Pilger, die zum Herrn beten und seinem Stellvertreter auf Erden huldigen wollten. Der überwiegende Teil waren Arbeiter, Männer aus allen Teilen Europas, die auf dem Bauplatz der neuen Kathedrale ihr Brot verdienen wollten.
Papst Julius II. hatte vor nunmehr sechzehn Jahren den Abriss der alten, baufälligen Basilika befohlen. Im vierten Jahrhundert nach Christus war sie unter der Ägide von Kaiser Konstantin erbaut worden, ein Prachtbau, um den Sieg der neuen Religion zu feiern. Errichtet über dem Grab des Apostels Petrus hatte sie länger als ein Jahrtausend auf dem Vatikanhügel gethront, fünfschiffig und reich an Mosaiken, Fresken und Denkmälern. Das Apostelgrab, so hieß es, war von acht Säulen umgeben gewesen, die noch aus dem Tempel Salomons stammten.
Doch nach all der Zeit war der Bau marode geworden, und mehr als einmal hatten sich Teile der Decke gelöst und waren hinab auf die Betenden gestürzt. So war im Jahre 1506, drei Jahre nach dem Tod des verfluchten Borgia, der Grundstein zu einer neuen Kathedrale gelegt worden. Seitdem waren Tausende damit beschäftigt, auf den Ruinen der Konstantinsbasilika den neuen Petersdom zu errichten, das größte und prächtigste Gotteshaus der Christenheit.
Wir ritten von Norden den Hügel herauf, umrundeten das schmucklose Geviert des Papstpalastes mit seinen Anbauten und erreichten schließlich unser Ziel.
Um ehrlich zu sein: Ich hatte es mir anders vorgestellt.
Nicht etwa größer – an schierer Größe konnte es dieser Ort wahrlich mit all meinen Fantasien aufnehmen –, wohl aber geordneter, organisierter. Und, vor allen Dingen, nicht so entsetzlich schmutzig.
Es hatte geheißen, die alte Basilika sei abgerissen worden.
Doch wie ich nun sah, standen sehr wohl noch Teile der Außenmauern, halb zerfallen, in deren Zentrum man vier mächtige Säulen errichtet hatte – sie waren die ersten fertigen Teile des neuen Doms.
Faustus fühlte sich beflissen, Angelina und mir einen Vortrag über die Entwürfe des Architekten Bramante und seines Nachfolgers Raffael zu halten, über den Streit, der um den Grundriss der Kathedrale entstanden war und über die mächtige Kuppel, die dereinst auf den vier Pfeilern im Zentrum der Kirche stehen sollte, genau über dem Grab des Apostels.
(Ich erspare Euch, gelangweilter Leser, die Einzelheiten dieser Ausführungen, weiß ich doch, dass Euch der Sinn nach anderem steht. Habt noch ein wenig Geduld – alles,
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