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Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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die Männer im Inneren des Palazzo verschwanden. Sie waren jetzt auf dem Weg zum Dach.
    »Die werden schneller hier sein, als du denkst«, sagte Spiritus. »Los jetzt!«
    Faustus folgte ihm über das Dach des Palazzo, über knirschende Schindelfelder, moosbewachsene Schrägen und an den Flanken schmaler Glockentürme vorbei. Er behielt den Jungen von hinten im Auge. Spiritus trug dunkle Kleidung und hatte sich das lange blonde Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Einmal, als er sich umwandte und Faustus etwas zurief, erkannte der Doktor eine lange Narbe am Hals des Jungen; sie verlief quer von einer Seite zur anderen, so als hätte jemand versucht, ihm von hinten die Kehle durchzuschneiden. Die Ränder der Narbe waren unglücklich verwachsen, ein fingerbreiter Wulst aus wildem Fleisch lag wie ein hässlicher Schmuckreif um seinen Kehlkopf.
    Spiritus hatte sich seinen Kurzbogen über den Oberkörper geschoben. An seinem Gürtel hingen ein Köcher mit Pfeilen und ein filigranes Schwert.
    »Wohin laufen wir?«, fragte Faustus.
    »In eines meiner Verstecke.«
    »Hier im Gebäude?«
    Spiritus schüttelte im Laufen den Kopf. »Es gibt hier welche, mehr als genug sogar. Aber im Augenblick ist es hier zu gefährlich.«
    Sie erreichten eine weitere Strickleiter, die zusammengerollt an der Dachkante lag. Unter ihnen befand sich die rückwärtige Fassade des Palazzo. An ihrem Fuß verlief eine enge Gasse, die von hohen Bäumen eines benachbarten Garten überschattet wurde. Das eine Ende der Leiter war bereits am Dach befestigt. Faustus nahm an, dass Spiritus auf diesem Weg bereits heraufgekommen war.
    »Werden sie uns da unten nicht erwarten?«, fragte er.
    Spiritus hob die Schultern und lachte. »Wer kann das wissen?«
    »Du nimmst unsere Gegner nicht besonders ernst.«
    »O doch, gewiss. Aber Alexander weiß, dass ich es war, der dir geholfen hat. Deshalb wird er erst im Palazzo nach uns suchen. Er kennt meine Vorlieben.«
    Faustus deutete hinab in die Gasse. »Und was ist mit denen da?« Vier Bewaffnete waren aus dem Schatten eines Baumes getreten.
    »Die übliche Patrouille. Sie wissen noch nichts von uns.« Spiritus ließ die Leiter in die Tiefe sausen, ungeachtet des Lärms, den die Sprossen verursachten, als sie gegen die Hauswand schlugen. Dann, beinahe zu schnell für Faustus’ Augen, lag plötzlich der gespannte Bogen in seinen Händen. In rascher Folge schoss der Junge vier Pfeile in die Tiefe.
    Als Faustus wieder über den Dachrand schaute, lagen die Bewaffneten reglos am Boden. Im Halblicht der Morgendämmerung konnte er nicht erkennen, wo die Pfeile sie getroffen hatten. Erst wenig später, als er und Spiritus den Boden erreichten, sah er, dass alle vier Pfeile die Kehlen ihrer Opfer durchschlagen hatten.
    Faustus nahm eines ihrer Schwerter an sich.
    Der weißhäutige Junge wirkte im Schatten der Baumkronen wie ein Gespenst. »Sie werden gleich hier sein. Wir müssen weiter.«
    Es hätte dieser Aufforderung nicht bedurft. Hastig wandte der Doktor seinen Blick von den Toten und folgte Spiritus ins Dunkel zwischen den Baumstämmen. Dort erhob sich eine Mauer, halb zerfallen und leicht zu erklimmen. Sie hatten gerade den oberen Rand erreicht, als hinter ihnen Rufe laut wurden. Die Männer des Borgia strömten durch einen Hinterausgang auf die Straße; sie hatten die toten Wachmänner entdeckt.
    »Da sind sie!«, brüllte einer.
    Er sprang hinter Spiritus her in einen wildwuchernden Garten, folgte ihm entlang hoher Büsche und verwachsener Bäume und rannte über einen Pfad, der offenbar erst kürzlich mit scharfer Klinge ins Gestrüpp geschlagen worden war. Spiritus hatte Vorsorge getroffen. Dennoch glaubte Faustus nicht, dass seine Befreiung ein gezielter Schlag gegen Alexander war. Vermutlich war Spiritus nur zufällig Zeuge des Gesprächs im Innenhof geworden.
    Hinter ihnen raschelte es. Die Soldaten des Borgia hatten die Verfolgung über die Mauer aufgenommen. Flüche ertönten, als die Männer übereinander stolperten und sich in Ranken und Zweigen verfingen.
    »Keine Sorge!«, rief Spiritus gepresst über die Schulter zurück. »Hier hab ich sie bisher jedes Mal abgehängt.«
    Er sollte Recht behalten. Als sie auf der anderen Seite des weitläufigen Gartens ein Haus erreichten, waren die Rufe und Schritte der Bewaffneten bereits zurückgeblieben. Sie stürmten durch eine offene Tür, liefen durch ein halbverfallenes Treppenhaus und an der Vorderseite hinaus auf eine Gasse. Faustus nahm den

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