Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
Honigsorten probieren, die mir auf Mini-Löffelchen und mit präzisen Fragen zu meinen Geschmacksempfindungen gereicht wurden. Ich sollte riechen, schmecken, noch einmal riechen, wieder schmecken, und dazwischen gab es klares Wasser und trockenes Brot, um den Gaumen auf neue Genüsse einzustimmen.
Ich verabschiedete mich bald von meinem Vorurteil, Hong sei bloß süß und klebrig, und entdeckte Geschmackskomponenten wie Akazie, Wiesenkräuter oder das dunkle Aroma des Waldes.
Zwischendurch wurde mir auch Industrieware untergeschoben, die ich aber sehr bald als solche entlarven konnte, weil es ihr eindeutig an Geschmack mangelte.
Es ist schon erstaunlich, was man alles schmecken kann, wenn die Sinne geschärft sind.
Geschmackserziehung wird von den Convivien regelmäßig betrieben, und es gibt sie zu fast allen unseren Lebensmitteln, auch Senf wurde schon verkostet und sogar Wasser. Worum es in jedem Fall geht, ist die Besinnung auf die Beschaffenheit unserer Lebensmittel sowie deren Qualität.
Wurst vom Mangalitza Schwein statt Einheitswürstel mit ungewisser Herkunft und zweifelhaftem Inhalt, selbstgemachter Sugo aus vollreifen Paradeisern statt Ketchup – so soll Appetit auf authentische, regionale Schmankerln gemacht und die Sehnsucht nach unseren kulinarischen Wurzeln wiederbelebt und gestillt werden.
Den geplanten Terra Madre Day durfte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen!
Genuss will gelernt sein
Die Ernährungsexperten von Slow Food behaupten, dass der ständige Überfluss an Lebensmitteln in den letzten Jahrzehnten die auf den ersten Blick paradoxe Konsequenz habe, dass wir immer schlechter schmecken können, was wir essen, und bei Blindverkostungen oft kläglich scheitern. Das Phänomen sei überall in der industrialisierten Welt feststellbar und hier liege gleichzeitig der Grund für unsere Geschmacksverwirrung. Unsere Lebensmittel werden Großteils industriell bearbeitet und häufig mit Zusatzstoffen versehen. Solcherart aufbereitet, bleiben sie länger frisch, behalten ihre Farbe, ihre Konsistenz, was auch immer – und das geht stets auf Kosten des Geschmacks.
Also müssen unsere Geschmackspapillen umgeschult, neu erzogen werden, um die Vielfalt wieder schmecken und genießen zu können. Vor allem bei Obst und Gemüse sei es wichtig, die geschmackliche Erinnerung an den täglichen Einheitsbrei aus einigen wenigen Sorten zu löschen, um authentische Qualitäten wahrnehmen zu können.
Die Rückkehr zu den Wurzeln des Geschmacks bedeutet gleichzeitig die Umstellung auf eine gesunde Ernährung. Hat man erst einmal gelernt, wie gut etwas schmeckt, wird man es haben wollen, immer und immer wieder, und zwar im bestmöglichen Zustand, frisch geerntet und vollreif.
Diese subtile Art der Bewusstseinsbildung betreibt Slow Food in Form von Workshops oder Verkostungen in den regionalen Convivien und besonders gerne an Schulen, wo zukünftige Genießer auf spielerische Art kennen und schmecken lernen, was sie essen.
Ein besonders nettes Beispiel für gelungene Geschmackserziehung sah ich unlängst in einer Dokumentation über Slow Food in Australien. Dort wurde in einem Vorort von Melbourne eine ganze Schule erfolgreich auf gesunde Ernährung umgestellt, die zum Teil sogar im Schulhof wächst. Das Projekt wird gemeinsam von Lehrern und Schülern mit viel Engagement und Begeisterung betrieben.
Die zum Teil stark übergewichtigen „Popcorn-Aliens“, wie sie eine ihrer Lehrerinnen liebevoll nannte, die es oft gewohnt waren, allein, vor dem Fernseher oder dem Computer zu essen, bekamen einen völlig neuen Zugang zu ihrem täglichen Essen, lernten, die Pflanzen selbst zu betreuen und zuzubereiten, verloren Gewicht, und vor allem entdeckten sie, dass gesundes Essen ausgezeichnet schmecken kann, von Kürbisgnocchi bis Brokkoli.
Zweierlei Diagnosen
Ich war so fasziniert von der neuen Welt, die sich mir durch Slow Food auftat, dass ich gar nicht mehr auf die Idee kam, alten Gewohnheiten und meinen einst so geliebten Zigaretten nachzutrauern. Zwar hatte ich immer noch ein Gewichtsproblem, aber das wollte ich nun mit den besten Mitteln und unter den angenehmsten Umständen lösen. Wenn ich es genau bedachte, war es mir leichter gefallen, auf das Rauchen zu verzichten, als abzunehmen.
Also suchte ich wieder meinen Arzt auf, in der Hoffnung, er würde mir nach der Besprechung meiner Ernährungsgewohnheiten ein perfekt auf meinen Leib zugeschnittenes Rezept verraten, mit dem ich das Problem in Windeseile in
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