Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
im Zwei-Jahres-Takt auf der Messe des Geschmacks, dem Salone del Gusto, in Turin eindrucksvoll zur Schau. Klein-und Kleinsterzeuger aus der ganzen Welt, die Lebensmittelhandwerker, wie man sie liebevoll nennt, kommen dort zusammen, um auf einem opulenten Fest der Vielfalt ihre Erzeugnisse zu präsentieren.
Seit 2004 gibt es außerdem die Möglichkeit, am Geburtsort von Slow Food, in Bra, an der weltweit einzigen Universität für gastronomische Wissenschaften Lebensmittelkultur studieren.
Terra Madre und Märkte der Erde
In den letzten 50 Jahren hat sich die Lebensmittelwelt grundlegend verändert, davon sind die Anhänger von Slow Food überzeugt. Die Lebensmittelkette, also der Weg zwischen Erzeuger und Verbraucher, wird immer länger, immer undurchsichtiger, mit dem Ergebnis, dass wir in den meisten Fällen nicht mehr wissen, woher unser Essen überhaupt kommt, und diejenigen, die es hergestellt haben, nicht kennen.
In einer derart entpersonalisierten Welt und in Zeiten einer ausufernden Globalisierung ist ein Leben im Einklang mit der Natur nicht mehr möglich. Fern von den Produktionsstätten unserer Nahrung und außerdem irregeführt durch wenige, standardisierte Geschmackskomponenten aus dem globalen Einheitskochtopf, wo immer alles gleich schmeckt, können wir Geschmack oft nicht mehr beschreiben.
Diesen immensen kulturellen Verlust will Slow Food nicht hinnehmen und versucht daher, die Produktion in die Nähe der Verbraucher zurückzuholen und unterstützt all jene, die sich der handwerklichen Herstellung qualitativ hochwertiger Lebensmittel aus dem regionalen Raum verschrieben haben und damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfakt leisten.
Warum sollten wir, so fragt Petrini, die Menschen, die unsere Lebensmittel produzieren, nicht wieder sehen, mit ihnen sprechen, ihnen die Hand geben können?
Es gilt also, die Lebensmittelkette zu verkürzen, dazu braucht es aber vorteilhaftere lokale Wirtschaftssysteme.
Auf den „Märkten der Erde“ können Erzeuger – ausschließlich Kleinbauern, die höchstens 40 Kilometer vom Markt entfernt wohnen und produzieren – ihre Ware ausstellen und verkaufen. Diese muss saisonal gebunden und regional verwurzelt sein, gut, sauber und zu fairen Bedingungen auf traditionelle Weise in handwerklichen Verfahren hergestellt und zu moderaten Preisen angeboten werden.
In diesem erst im Aufbau befindlichen Programm liegt wohl die konsequenteste Umsetzung der Ziele von Slow Food: zurück zu den Wurzeln, echte Basisarbeit. Weltweit gibt es bisher zehn solcher Märkte, einen davon in Parndorf, im Burgenland.
In größerem Rahmen und auf internationaler Ebene bietet das Netzwerk „Terra Madre“ die Möglichkeit, Lebensmittelproduzenten, Vertreter lokaler Gemeinschaften, Wissenschaftler und Köche zusammenzubringen, mit dem Ziel, Produktionsmethoden zu erreichen, welche die Erde und ihre Bewohner sowie die Vielfalt der Gerichte und Kulturen respektieren. In einer von industrieller Landwirtschaft geprägten Welt unterstützt „Terra Madre“ aktiv nachhaltige Wirtschaftsmodelle. Auf diese Weise wird dem Massenhandel entgegengewirkt und der Konsument kann sicher sein, beste Qualität zu kaufen, die auf niemandes Kosten geht.
Winter ist nicht fad!
Die Skeptiker in Sachen Ernährung aus dem regionalen Raum werden mir wahrscheinlich entgegenhalten, dass dieses Versorgungsmodell bei uns bestenfalls im Sommer, eventuell auch noch im Herbst funktionieren könne. Aber im Winter? Was dann?
Wenn es auf unseren Märkten fast nichts mehr gibt, wie soll man da über die Runden kommen in puncto Obst und Gemüse? Und außerdem: Keine Orangen und keine Mandarinen im Advent? Wie soll das gehen? Kein Spargel und keine Erdbeeren zu Weihnachten? Das ist doch fad!
Dass unser winterliches Nahrungsangebot nicht viel herzugeben habe, ist ein hartnäckiges Vorurteil, das sich allerdings leicht widerlegen lässt. Abgesehen davon, dass Spargel und Erdbeeren zu Weihnachten ohnehin kein beglückendes Geschmackserlebnis in uns auslösen können, gibt es bei Slow Food keine Verbote, was den Import von Früchten betrifft, die in unseren Breiten nicht gedeihen, sondern nur den Rat, den kürzesten Transportweg zu wählen und Fair Trade-Ware zu bevorzugen.
Sorge ist also nicht angebracht, auch deshalb nicht, weil der Winter hierzulande viel mehr zu bieten hat, als man gemeinhin annimmt.
Winter, das ist die Zeit der Wurzelfrüchte und Rüben, und die haben’s wahrlich in sich.
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