Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
geschah, schließlich auch ohne Futtergabe den Speichelfluss auslöste. Schwer begeistert vom Ausgang seines Experiments eilte Pawlow zum Patentamt, ließ sich die verblüffende Entdeckung unter dem etwas sperrigen Titel „bedingter Reflex“ schützen und machte dann einen Abstecher nach Stockholm, um sich dort gebührend feiern zu lassen und bei der Gelegenheit auch gleich den Nobelpreis einzustreifen.
Gut hundert Jahre mag das nun schon her sein, der bedingte Reflex funktioniert aber heute so sicher wie damals. Generationen von Eltern haben auf diese Weise ihren Nachwuchs erzogen, und auch der Nachwuchs selbst versteht sich blendend vor allem auf die erpresserische Variante dieser Methode. „Wenn …, dann …!?!“
„Wie dem Pawlow sein Hund“, sagen manche Leute heute noch in einem nicht ganz korrekten Deutsch, wenn sie andeuten wollen, wie sehr sie gerade nach etwas lechzen.
Sabbern vor Lust und Vorfreude – ganz genau so erging es mir, wann immer ich in meiner Anti-Barockengel-Rezeptsammlung blätterte. Schon beim Gedanken an das nächste kulinarische Highlight lief mir das Wasser im Mund zusammen, und wenn mein Blick dann vielleicht noch auf ein appetitanregendes Foto fiel, war es endgültig um mich geschehen.
Lange hatte ich gedacht, im Rauchen den höchsten Genuss für mich gefunden zu haben, doch erst jetzt war mit dem richtigen Essen der wahre Genuss in mein Leben gekommen.
Pawlow hat den Nobelpreis wahrlich verdient.
Wunderwerk Mensch
Als ich meine alte Liebe längst begraben hatte und das Ende meines ersten rauchfreien Jahres schon sehr nahe war, wurde ich noch einmal schonungslos mit meiner Vergangenheit konfrontiert, und zwar durch ein Interview mit einem renommierten Lungenfacharzt, der ein flammendes Plädoyer für den Rauchverzicht hielt und die Dringlichkeit seines Appells mit drastischen Zahlen untermauerte.
Natürlich wusste ich schon sehr lange über die verheerende Wirkung des Rauchens auf den Organismus Bescheid, und die permanenten Ermahnungen durch meine Mutter waren absolut berechtigt und deren Sorge um meine Gesundheit mehr als verständlich gewesen. Doch solange ich selbst rauchte, war die Sache für mich als Betroffene nicht ganz so klar, gab es doch auch die andere Seite des Rauchens, die Lust am Genuss, die Wirkung der Droge Nikotin, den berühmten Kick – und schließlich auch die Sucht.
Wenn es so leicht wäre, das lange geübte Verhaltensmuster einfach abzustreifen, gäbe es wohl nur noch echte Genussraucher, die die Quelle ihres Genusses voll im Griff haben. Ich aber hatte – wie wahrscheinlich die große Mehrheit der Raucher – durch die dauernde Lust auf Nikotin die Sache keineswegs unter Kontrolle und reagierte daher stets mit scharfer Abwehr, wenn mir wieder einmal jemand mit Vernunftargumenten gegen das Rauchen kam. Immer war da die Überzeugung im Hinterkopf: „Alles Unsinn! Mir passiert schon nichts. Mir doch nicht!“
Aber zurück zu dem Interview mit dem Lungenarzt. Ich war ja aus gutem Grund auf einiges gefasst, aber es kam schlimmer.
Jede gerauchte Zigarette, so meinte der Fachmann, verkürze unser Leben um elf Minuten, und ein Durchschnittsraucher verschenke bei 20 Zigaretten täglich 12 Jahre seines Lebens. Außerdem nähme er neben einer Unzahl von Giften und krebserregenden Stoffen jährlich eine Kaffeetasse Teer zu sich bzw. in 20 Jahren 6 Kilo Rauchstaub oder 10 Briketts.
Ich kämpfte bereits mit einer starken Übelkeit, aber der Mann hatte noch ein Argument auf Lager. Die Haut eines 40-jährigen Rauchers (und wohl auch die einer Raucherin, also meine zum Beispiel!) entspräche der eines 60-jährigen Nichtrauchers. Zu den zwölf verschenkten Lebensjahren kamen also noch 20 Jahre verschenkter Jugendlichkeit. O Gott!
Und außerdem: Musste ich vielleicht, bei meinem notorischen Konsum von zwei Päckchen am Tag, diese Gräuelzahlen sogar noch verdoppeln?
Immerhin hatte das Interview noch einen zweiten Teil, wo selbiger Fachmann den künftigen Nichtrauchern nicht minder Erstaunliches verhieß und meinen Glauben an das Wunderwerk Mensch wiederherstellte.
Schon 20 Minuten nach der letzten Zigarette, wusste er zu berichten, sinken Puls und Blutdruck, und Hände und Füße werden wieder besser durchblutet. Nach nur acht Stunden verschwindet das belastende Kohlenmonoxid aus dem Blut, und schon nach 24 Stunden beginnt das Herzinfarktrisiko zu sinken. Nach zwei Tagen verbessern sich Geschmacks-und Geruchssinn, nach drei Tagen findet sich kein Nikotin
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