Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
zum Thema wurde und ich immer häufiger Klagen hörte.
Die einen waren im Prüfungsstress, für manche war Schule überhaupt Stress pur und die anderen gerieten wiederum in Freizeitstress. Auch die Kleinen hatten immer öfter sogar beim Spielen Stress, wenn sie zu lange und zu verbissen auf ihrem Gameboy herumdrückten.
Der deutlich gestiegene Wohlstand hetzte viele von uns in eine verhängnisvolle Konsumspirale mit immer mehr Aktivitäten, die in immer kürzerer Zeit erledigt werden sollten. Die Spirale drehte sich weiter, immer schneller, immer unbarmherziger, und die gesundheitlichen Folgen dieses permanenten Drucks ließen sich irgendwann nicht mehr leugnen. Es wurde klar, dass Stress krank machen konnte. Schlaf-oder Verdauungsstörungen, Kopfschmerzen und Dauermüdigkeit waren noch die harmloseren Auswirkungen der Volksseuche Stress, die Beschwerden konnten auch bis hin zu Magengeschwüren, Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen gehen. Der Umstand, dass bei all der Hektik das gesunde Essen ziemlich aus der Mode gekommen war, verstärkte das Übel zusätzlich.
Es ist sicher kein Zufall, dass gerade in dieser Zeit in Italien die Slow Food Bewegung entstand, die dem permanenten Fast-Life den Wind aus den Segeln nehmen und uns zu einem lustvollen, gesunden und bodenständigen Essen zurückführen wollte.
Bröckelnde Idylle
Ein weiterer Trend schwappte in dieser Zeit über den Großen Teich zu uns: die zunehmend negative Wahrnehmung des Rauchens. Während das Rauchen bis weit in die 80er-Jahre hinein in der Öffentlichkeit kaum Beschränkungen unterlag (nicht einmal in Krankenhäusern!), wurde es in den 90ern allmählich ernst mit dem Schutz der Nichtraucher, die durch die Mahnungen aus Ärztekreisen starken Aufwind bekamen. In etwa zur gleichen Zeit dachten allerlei Experten immer öfter und immer lauter über die Schaffung von rauchfreien Zonen in öffentlichen Gebäuden nach und die Debatte über Raucherzimmer an Schulen schallte durch das ganze Land und erregte die Gemüter. In Erwartung einer für alle Seiten befriedigenden Lösung quollen einstweilen dichte Rauchschwaden aus den zu jeder Jahreszeit weit offenen Fenstern von Schülertoiletten und staatlichen Nebenräumen.
Ich war nun Mitte Vierzig und hatte ziemlich genau die Hälfte meines Lebens rauchend verbracht, sah mich aber, trotz eines konstanten Konsums von vierzig Zigaretten am Tag, nach wie vor als Genussraucherin und hatte daher wenig Verständnis für die Schilder mit der Aufschrift „Wir bitten Sie höflich, hier nicht zu rauchen!“, die mich immer öfter an der Ausübung meines lustvollen Hobbys hinderten. Ich nahm jetzt auch vermehrt Leute wahr, die die Nase rümpften oder sich sogar demonstrativ von mir abwandten, sobald ich, eine brennende Zigarette zwischen den Fingern, auf sie zutrat. Im Geiste nannte ich sie humorlose Asketen, Langweiler, Spaßverderber, und da ich mit solch todtraurigen Zeitgenossen nichts, aber auch gar nichts am Hut haben wollte, hielt ich mich mehr denn je an meine Liebe zum Nikotin und verkehrte fast nur noch mit fröhlichen Rauchern.
Die Idylle bröckelte jedoch weiter, was mir vor allem auf dem nächsten Flug in den Urlaub klarwerden sollte. Seit Jahren trennte die heimische Airline Raucher und Nichtraucher durch den Mittelgang, links durfte geraucht werden, rechts nicht – eine Methode, die beiden Gruppen eine gewisse friedliche Koexistenz samt stets möglichem Blickkontakt erlaubte, was ich durchaus in Ordnung fand. Nun wurden die Raucher aber in die hinteren Reihen der Maschine verbannt, quasi auf die billigen Plätze, und außerdem hinter einem dicken Vorhang versteckt, der während des ganzen Fluges tunlichst geschlossen bleiben sollte. Es wurde für uns harmlose Genießer allmählich wirklich ungemütlich.
Als schließlich der Marlboro Man, mein großes Vorbild in Sachen Lebenslust, meinem stets wachen Blick für Ästhetik entzogen wurde und von den Plakatwänden verschwand, musste ich mir den Ernst der Lage eingestehen. Meine Freiheit war akut bedroht und meine heile Welt des reinsten Genusses gehörig aus den Fugen geraten.
Es wird immer enger
Die Lobbyisten der Gesundheitspolitik erkannten bald, dass sie im Kampf gegen den blauen Dunst auf die sanfte Tour nicht weiterkamen. Statt mit „Wir bitten Sie höflich …“ versuchten sie es kurze Zeit später mit einem knallharten „Rauchen verboten!“ Diese brutale Aktion schmerzte mich sehr und das Rufzeichen fuhr mir sozusagen mitten ins Herz,
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