Die neue Menschheit
übertragen. Er starrte ins Feuer, das er gemacht hatte. Die Flammen wühlten ihn auf, bedrängten ihn, rüttelten an ihm. Sie schienen suchend nach seinem Gedächtnis zu lecken …
Varnum wußte nicht wirklich genau, wo er war oder was er war. Immer noch schmerzte sein Kopf. Er fand keine innere Ruhe. Er war zischen zwei Welten gefangen, die völlig verschieden waren, absolut voneinander getrennt. Und trotzdem war eine Verbindung zwischen ihnen …
Zwischen seinen Welten erhob sich eine Barriere, aber eine, die Lücken aufwies. Einige Dinge quollen hindurch.
Er wollte sie nicht alle. Aber sie ließen sich nicht aufhalten. Sie ließen sich auch nicht lenken. Es hatte ihn eine ungeheure Mühe gekostet, sie zu konzentrieren, zu filtern. Versuchte er aber, sich auszuruhen, konnte er sie nicht unter Kontrolle halten. Dann kamen sie, hämmerten in seinem Kopf.
Sie überschwemmten ihn, bis er glaubte, sein Kopf müsse unter dem Druck bersten.
Da war diese Welt, hier und jetzt (wo war hier? Wann war jetzt?). Er konnte sie sehen, berühren, riechen. Er erinnerte sich an alles, was er auf dieser Welt erlebt hatte. Er konnte es genau ordnen: zuerst das blendende Leuchten, dann das kühle Grün des Schattens, das heilende Wasser, das Gewitter, das er mit Regenfreund durchgestanden hatte, die erste, kleine Jagdbeute, Dieh, die Kinder, die aus ihrem Körper gekommen waren, die Arbeit am Nest. All das wußte er. Es war, wie es sein sollte.
Aber da war diese andere Welt. Ihr Bild wuchs in ihm. Sie gehörte nicht hierher. (Wo war sie dann? Wie kam ihr Bild in ihn? Was bedeutete es?).
Die Welt der Worte, halbverstandener Szenen, Bruchstücke. Die Welt, die so viel enthielt. Riesig, überfüllt, wimmelnd … Sie regte sich in ihm. Brachte sie ihm Macht? Ja, wenn er sie bremsen, untersuchen, begreifen konnte. Sie sprach in Rätseln zu ihm, verspottete ihn.
Worte. Worte, die ihn durchzuckten, sich verbanden oder auch nicht, die aufleuchteten und seltsame Schatten warfen. Flammen und Speere. Damit war eine Ähnlichkeit.
Eine Ähnlichkeit, ja. Varnum. Er war Varnum. Der Name war von dort gekommen (wo war dort?). Doch so einfach war es nicht. Er war nicht ganz derselbe Varnum. Und die Bäume, die Früchte, die Tiere, der große Himmel mit zwei Sonnen – waren sie gleich? Nein. Das ahnte er. Sie waren ähnlich genug, gleich eingeordnet werden zu können, aber nicht völlig gleich. Die Worte quollen aus einer Welt und plätscherten in eine andere, und da und dort blieben sie haften. Aber es gab Unterschiede …
Bruchstücke. Das war das Problem. Er konnte das große Ganze nicht sehen. Fast konnte er sich an das erinnern, woran er sich erinnern mußte. Fast. Doch das genügte nicht. Er würde keine Ruhe finden, bis er alles hatte.
Er versuchte sich zu öffnen: alles hereinzulassen und es loszuwerden. Indem er es absorbierte.
Er war weder wach, noch schlief er. Varnum. Eine Vorladung für Varnum …
Das Wimmern aus seinem Nest brachte ihn in die Gegenwart zurück.
Leicht schwankend ging er durch die zunehmende Dämmerung zu Dieh. Sein Junge schlief bereits fest, auf die Seite gekuschelt. Er bedachte ihn mit keinem zweiten Blick. Er brauchte sich keine Gedanken um ihn zu machen, mit ihm war alles in Ordnung, wenn man davon absah, daß er einem in seinem Eifer beachtet zu werden, ständig um die Füße war.
Er blickte hinunter auf sein dünnes Mädchenkind und erkannte die Furcht in ihren matten Augen. Sie war kränklich, diese seltsame Miniaturausgabe von Dieh. Etwas stimmte nicht mit ihr. Krank! Arznei! Sie brauchte Arznei! Was war Arznei? Wo konnte er sie finden?
Das Kind schrie keuchend.
Er hielt den Speer in der Hand. Sein Feuer prasselte höhnisch hinter ihm.
Macht?
Er schüttelte den Kopf. Er hatte keine Macht. Er verstand ja nicht einmal, was vorging.
Er legte den Speer zur Seite und kroch ins Nest.
Er berührte das winzige Mädchen, und sie wich vor ihm zurück. Sie hatte Angst vor ihm. Er war hart und rauh und wild. Er war groß, ein Riese. Er kauerte über ihr. Er war bedrohlich, wie fast alles auf dieser Welt bedrohlich war.
Arme kleine Ohnenamen. Er meinte es doch nicht böse mit ihr. Er wollte ihr helfen.
Er forschte nach Worten. Magischen Worten. Worte aus jener anderen Welt, der Welt, die Dinge wußte. Worte, die sie berühren, sie beruhigen, heilen würden.
Worte, die er einst gebraucht hatte, vor langer Zeit. Worte, die niemand zu ihm gesagt hatte.
Sie fielen ihm jetzt nicht leicht. Er formte sie,
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