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Die neue Menschheit

Die neue Menschheit

Titel: Die neue Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chad Oliver
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probierte sie, sagte sie.
    »Papa ist hier. Schlaf schön.«
    Sie waren nicht viel mehr als ein Krächzen. Sie hingen in der Luft, rostig vom Brachliegen.
    Sie verstand sie natürlich nicht. Ohnenamen blickte ihn mit ängstlichen Augen an, trotzdem beruhigte sie sich, und schließlich schlief sie ein.
    Mit einem müden Lächeln hieß Dieh ihn wieder willkommen.
    »Var-num«, sagte sie. Sie hatte es geübt. »Var-num.«
    Er streckte sich neben ihr aus. Er entspannte sich ein wenig und freute sich ihrer Geste. Er langte nicht nach ihr. Das Kind brauchte sie mehr, und er wollte sie jetzt auch nicht.
    Er lauschte seinem Feuer. Bald würde er nachlegen müssen. Er spürte die Nähe seiner Gefährtin.
    Da wurde ihm bewußt, daß es zwei Arten von Wärme gab.
     
    Wieder brachte der Wind Kälte mit sich und pfiff durch die kahlen Äste über den Nestern der Leute.
    Es war keine leichte Zeit, aber doch nicht so schlimm wie beim erstenmal. Durch die Steinspitzenspeere gab es immer wieder Fleisch und auch Felle, mit denen man die nackte Haut bedecken konnte. Und es gab Feuer für ein jedes Nest.
    Die Leute schienen zufrieden zu sein. Ihr Leben war hart, aber besser als im letzten Winter. Eine andere Vergleichsmöglichkeit hatten sie nicht, und sie wußten nichts von Alternativen.
    Verluste hielten sich in Maßen. Ein Mann, der etwas zu langsam gewesen war, war von einem verwundeten Tier aufgespießt worden. Ein Kind, ein Junge, war in den Bach gefallen und ertrunken.
    Das war nicht besorgniserregend.
    Wenn die Leute sich Gedanken über das seltsame Benehmen ihres Führers machten, zeigten sie es zumindest nicht. Er war, was er war. Er hatte sich das Recht, anders zu sein, verdient. Er hatte ihr Vertrauen und ein wenig mehr als das. Hätten die Leute an Gott geglaubt, wäre Varnum für sie einer gewesen.
    Selbst Späher ließ ihn in Ruhe.
    Für einen Gott hatte Varnum es wahrhaftig nicht leicht. Er wußte nicht, wie er es überhaupt durchstand. Es gab endlose Tage und Nächte, in denen er überzeugt war, daß er wahnsinnig wurde.
    Er mußte sich erinnern! Dieser Zwang nagte an seinen Gedärmen. Nicht Gedankensplitter und Bruchstücke, keine einzelnen Brocken, keine Blitze in einer gewaltigen Dunkelheit. Alles! An alles mußte er sich erinnern. An das ganze Bild, das komplette Muster, den Schlüssel.
    Es war kein Spiel. Es war kein Rätsel. Es ging nicht nur darum, den unerträglichen Schmerz im Kopf zu lindern.
    Es ging um Leben und Tod.
    Es war, was er wissen mußte, um …
    Um was?
    Es marterte ihn. Er spürte in seinen Knochen, daß nicht zu handeln tödlich sein konnte. Und doch konnte er nichts tun, denn wie sollte er handeln, wenn er nicht wußte, was das Problem war?
    Also wartete er, während Grimm und Frustration in ihm kochten.
    Er wartete, während sein Sohn stärker und seine Tochter schwächer wurde.
    Er wartete, während die Kluft zwischen ihm und Dieh wuchs und er versuchte, sie mit unbeholfenen Worten zu überbrücken.
    Er wartete, während die Feuer brannten und der eisige Wind fast unaufhörlich blies.
    Er wartete, während die gefrorenen Sterne zu glitzernden Eisbrocken wurden und an einem kalten Gewölbe beobachteten …
    Beobachteten …
    Das traf ihn wie ein Schlag, als er eines Nachts zu den Sternen aufschaute und ihm schien, als blickten sie zurück, sahen zu ihm hinunter …
    Sie beobachteten ihn tatsächlich.
    Es klickte in seinem Kopf. Ganz plötzlich war das Gerüst da. Er erinnerte sich.
    Nicht an alles. Noch nicht.
    Aber an genug.
    Ein gewaltiger Grimm schüttelte ihn, machte ihn krank und schwindlig. Und dann war sein Kopf wieder klar. Er fühlte sich schwach, aber er war wieder fähig zu denken.
    Er ballte die knorrigen Fäuste und schaute erneut zu den Sternen hoch.
    »Ihr Hundesöhne!« flüsterte er gepreßt. »Ihr elenden Hundesöhne!«
     
    Sie kamen über die Lichtjahre und die gähnende Kluft der Nacht.
    Sie kamen in ihren großen Schiffen, kamen mit ihren Maschinen, kamen mit ihren süßen Worten.
    Kamen, um nach ihrem kleinen Experiment zu sehen.
    Kamen, um ihre Abmachung mit ihm einzuhalten.
    Er fühlte sich übel.
    Und er hatte Angst. Er fürchtete sich mehr vor ihnen als vor irgend etwas auf dieser Welt.
    Er hatte Angst vor dem, was sie vielleicht tun würden. Angst vor dem, was sie vielleicht nicht tun würden.
    Er war ihnen nicht gewachsen. Er war verantwortlich für seine Leute, weit mehr verantwortlich, als er gewußt hatte. Aber er war ihnen – jenen, mit denen er die Abmachung

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