Die neue Menschheit
…
Er blickte nicht mehr zurück. Er drückte die magere Leiche fest an sich und stapfte weiter.
Die Strömung des Baches, der inzwischen zum Fluß geworden war, wurde stärker. Über ihrem Rauschen glaubte er, bereits das Tosen des Wasserfalls zu hören. Aber das war natürlich nur seine Einbildung. Sie waren noch Stunden davon entfernt.
Er erinnerte sich an das erste Mal, als er ihn gesehen hatte, während ihrer Jagd am Anbeginn der Zeit, an den Ort, wo das Wasser über den Rand der Welt brauste. Die hohen Felswände, die dunklen Löcher – Höhlen.
Er war dorthin zurückgekehrt und hatte diese Höhlen durchforscht.
Nun warteten sie auf ihn.
Eine Verbindung mit anderen Menschen aus längst vergangener Zeit und weit entfernt.
Ein Feuer, ein Speer.
Ein Loch, eine Höhle, eine Zuflucht.
Abschirmendes Gestein.
Dieser scheußliche nasse Wind peitschte seinen triefenden Körper. Aber der Bach, sein Bach, brauste durch sein kaltes Bett.
Rief ihn nach Hause.
Er schleppte sich weiter zum Ende des Pfades. Er war zu erschöpft, Stolz auf seine Leistung zu empfinden. Er hatte es geschafft, das genügte.
Er führte seine Leute unter einen Felsüberhang in eine der größeren Höhlen. Zunächst verspürte er gar nichts. Es war klamm und trostlos hier. Er bemerkte nicht einmal, daß der Wind ihn nicht mehr quälte, so abgestumpft war er.
Eine Geröllwand trennte das Höhleninnere ab. Es gab ein Loch in ihr, gerade groß genug, hindurchzukriechen. Durch das Loch war ein oranges Glühen zu sehen.
Varnum trat zur Seite und deutete. Einer nach dem anderen kletterten seine Leute durch das Loch. Er zögerte nicht. Er kniete sich nieder und legte seine traurige Last ab. So verkrampft waren seine Arme, daß er sie nicht ausstrecken konnte.
Seine Tochter war nicht allein.
Varnum folgte dem letzten seiner Leute durch das Loch. Die innere Höhle war riesig. Er konnte ihr hinteres Ende nicht sehen, und er wußte, daß sie sich gabelte und Kilometer von verschlungenen Gängen von ihr wegführten. Groteske Schatten hüpften an den Wänden. Gewaltige Mengen Brennholz waren aufgestapelt, und eine großes Feuer prasselte. Trotz des Luftzugs in Richtung der hinteren Gänge hing der Rauch dick in der Luft und quälte seine Lungen. Die hohe gewölbte Höhlendecke wies fettige Rauchflecken auf.
Es war trocken und heiß hier.
Die Wärme durchdrang ihn und schmolz das Eis in seinen Knochen.
Regenfreund begrüßte ihn mit einem breiten Lächeln und etwas zu essen. Aber Varnum schüttelte den Kopf. Er brachte im Augenblick nichts hinunter. Am liebsten hätte er sich an Ort und Stelle fallen lassen, um nichts als zu schlafen. Doch da war noch etwas, das er tun mußte, das sich nicht vermeiden ließ.
Er suchte Dieh und blieb vor ihr stehen – mit leeren Armen. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen.
»Dieh«, sagte er und erkannte seine Stimme kaum. »Es tut mir so leid.«
Kein Laut antwortete ihm.
Varnum war zu müde, mehr zu tun. Er fand ein freies Fleckchen unweit des Feuers. Er legte sich auf den warmen Felsboden und schlief sofort ein.
Er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte. In der Höhle gab es weder Tag noch Nacht. Er wußte nur, als er endlich wach war, daß er am Verhungern war. Sein Bauch war ein hohler Knoten.
Und er schmerzte am ganzen Körper. Seine Arme taten weh. Seine Beine waren verkrampft. Er hatte einen Muskelkater. Beim Schlucken fühlte seine Kehle sich kratzig an. Seine Schultern waren verspannt.
Er fühlte sich entsetzlich. Er wußte, daß Dieh irgendwo in der Höhle war, und er wollte sie nicht sehen. Und er wollte nichts tun.
Aber er mußte. Varnum machte sich nichts vor. Er hatte viel zu tun. Er war der einzige, der das Richtige tun konnte. Und wenn er nicht schnell handelte, mochte sich alles als vergeblich erweisen.
Es konnte jetzt schon zu spät sein.
Der Gedanke war unerträglich.
Er plagte sich auf die Beine. Er fühlte sich nicht jung. Er sah, daß die meisten seiner Leute noch schliefen, wie zusammengebrochen auf dem harten Höhlenboden.
Das Feuer brannte nicht mehr so hoch und die Hitze war nicht mehr so durchdringend. Der Rauch reizte seine Lungen, und er hustete. Schleim kam hoch, und er würgte.
Regenfreund reichte ihm besorgt eine Schale Wasser.
Varnum trank. Das Wasser platschte in den Magen. Er behielt es. Er kaute zähes Dörrfleisch und eine stärkehaltige Wurzel von leicht süßem Geschmack. Es belebte ihn ein bißchen, aber er fühlte sich alles anderes als
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