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Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Titel: Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ulrich Wehler
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Klassenhierarchie befestigt, wird er durch einen weiteren Selektionsmechanismus noch unterstützt, der im öffentlichen Bewusstsein weithin nicht wahrgenommen wird. Tatsächlich läuft aber die Frage, ob das Konnubium hohe Ungleichheitsbarrieren wie die klassenspezifische, religiöse oder ethnische Herkunft zu überwinden vermag oder aber zu verstärken tendiert, auf eine Art von Lackmustest hinaus. Wie tief ist tatsächlich die Kluft zwischen den sozialen Klassen, den religiösen oder ethnischen Verbänden? Oder wie gering ist der Abstand zwischen den Angehörigen desselben sozialkulturellen Milieus? Wer heiratet wen? Wie geschlossen oder wie offen sind die Heiratskreise?
    Die Antwort lenkt auf harte, keineswegs von jedermann vermutete Bedingungen der Reproduktion Sozialer Ungleichheit hin. Dass es diese Bedingungen mit einem hohen Maß an Stabilität gibt, wird zwar seit den Kitschromanen von Hedwig Courths-Mahler und Eugenie Marlitt, erst recht im Zeitalter der Soap Operas und der illustrierten Klatschpresse gern geleugnet, da dort die romantische Liebe alle Grenzen überwindet. Doch die Wirklichkeit der deutschen Heiratsmärkte sieht anders aus.[ 23 ]
    Die Klassenlage und ihre Prestigehierarchie prägen, aufs Ganze gesehen, auch die Heiratsmärkte in einem erstaunlichen Umfang. Die Eheschließung wird, entgegen manchen Auflockerungstendenzen, noch immer weithin sozial geregelt. Denn in einem stabilen Ausmaß führen die Gefühle der Zuneigung und Liebe an erster Stelle unter Klassengleichen zu einer formellen Bindung. In dem engen Nexus, den die gemeinsame Klassenzugehörigkeit der meisten Ehepaare aufweist, spiegelt sich erneut das hohe Maß an Invarianz wider, das die Struktur der Sozialen Ungleichheit im Allgemeinen kennzeichnet.
    In den oberen Klassen stammen z.B. 58 Prozent der Ehepartner aus demselben Klassenmilieu. Nur 14 Prozent der Männer aus den höheren Klassen heiraten Frauen aus den Arbeiterklassen, wohl aber zu 44 Prozent die Töchter leitender und höherer Angestellter. Je höher die soziale Position gelagert ist, desto erfolgreicher macht sich das ständische Motiv der Schließung mit dem Ziel geltend, wertvolle Ressourcen zu monopolisieren und die Gesamtlinie der Lebensführung über die Generationsschwelle hinweg beizubehalten.
    In den unteren Klassen, in denen die zielstrebige Heiratsstrategie eher durch eine resignative Schließung ersetzt wird, heiraten durchweg bis zu 80 Prozent der Arbeiter wieder Töchter von Arbeiterfamilien. Dem entspricht genau der Anteil der Arbeitertöchter, die Arbeiter heiraten. Erst jenseits dieser 80 Prozent beginnt der Bereich der Aufstiegsheiraten in die untere Angestellten- und Beamtenschaft. Mit einem noch deutlich höheren Prozentsatz weisen aber Adlige und Landwirte die höchste Homogamierate auf. Insgesamt bleiben klassenspezifische Heiratsmärkte mit scharf markierten Grenzen für die unterschiedlichen Sozialformationen weiter bestehen. Der während der letzten fünfzig Jahre im Schnitt auf 70 Prozent steuernde Trend zur Homogamie sorgt für die klare Fortsetzung der sozialen Segmentierung. Er unterstützt die durch den Sozialisationsprozess sorgfältig genährte Neigung, innerhalb der eigenen Klassen zu heiraten, um sich weiter im vertrauten Ambiente der Verhaltensweisen und der Wertnormen, im gewohnten Haushalt der Gefühle und im Umfeld derselben Denkformen aufzuhalten, nicht zuletzt auch deshalb, um den Status, die Exklusivität und die kulturellen Ressourcen zu verteidigen.
    Die Häufigkeit dieser auf Homogamie gerichteten Eheentscheidungen enthält ein schwerwiegendes Argument gegen die modische Behauptung der Entstrukturierung und Individualisierung, welche die gegenwärtige deutsche Gesellschaft angeblich in wachsendem Maße prägt. Vielmehr gehört die kontinuierliche, vielfach bewährte Funktionsfähigkeit strikt segmentierter Heiratsmärkte zu jenen durchschlagenden Einwänden, welche diese Deutung dementieren.
    Die Bildungsreform seit den 60er Jahren hat entgegen den oft euphorischen Erwartungen keineswegs zu einer Verflüssigung der Grenzen zwischen den etablierten Heiratsmärkten geführt. Vielmehr haben alle neueren Untersuchungen die erstaunliche Konstanz sozialer Homogenität des Kohortenverhaltens bis hin zur Höhe von 70 Prozent der Eheschließungen nachgewiesen. Gewachsen ist offenbar nur der Anteil «aufwärts» heiratender Frauen. Sonst aber erzeugt der Ausbildungsprozess im höheren Bildungssystem, das inzwischen erheblich

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