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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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Männer hatten die Köpfe ihrer Opfer auf Bajonette gespießt und durch die Straßen getragen. Mit ihren Jeeps waren sie durch die Gassen gejagt und hatten Kadaver über den welligen Asphalt geschleift.»
    Für das viehische Vorgehen der Phalange in Beirut findet Rawi Hage ein triftiges Bild: die Verwilderung der herrenlosen Hunde in der Stadt zur kannibalischen Meute. «Wenn sich die Reichen nach Frankreich absetzten, ließen sie ihre Hunde zurück, die durch die Gassen streunten. Es waren edle Waisenhunde, sie waren stubenrein, hörten auf französische Namen und trugen rote Schleifen. Flauschige Hunde, reinrassige Hunde, chinesische Hunde rotteten sich zusammen, zogen im Dutzend durch die Straßen, ließen sich von einer dreibeinigen Promenadenmischung herumkommandieren. Eine wilde Meute der verhätscheltsten Hunde der Welt heulte den Mond über Beirut an und fraß den Müll, der sich an unseren Straßenecken auftürmte. Wir scherenuns nicht um die Gesetze der Menschen, sagte der unfrisierte Pudel, wer will uns schon verbieten, Menschenfleisch zu fressen?»
    In der allgemeinen Bürgerkriegstollwut ziehen auch die wilden jungen Hunde Bassam und George ihre je eigene Blutspur durch die Stadt. George beteiligt sich schließlich sogar an den Massakern in den West-Beiruter palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila, die 1982 von Phalange-Mitgliedern verübt wurden. Das beichtet er seinem verratenen Ex-Freund Bassam, ehe die beiden unter der Brücke Russisches Roulette spielen und Bassam endlich die Flucht aus dem Libanon gelingt – scheinbar.
    Denn die Bürgerkriegstollwut, die eigene Brutalisierung, trägt der Ich-Erzähler Bassam in sich, und seine blutige libanesische Vergangenheit folgt ihm auch nach Frankreich ins Exil. In die Umgangsformen einer zivilen Gesellschaft, wie er sie in Paris antrifft, kann sich der verwilderte und verrohte Junge aus dem zerstörten Libanon nicht mehr fügen.
    Davon handelt das letzte, das dritte Großkapitel von Rawi Hages Roman. Verglichen mit der Härte, Dichte, Anschaulichkeit und Detailgenauigkeit der ersten beiden, der Bürgerkriegskapitel, die unverkennbar von den eigenen Beobachtungen, Erfahrungen und Erlebnissen des Autors zehren, fällt das Paris-Kapitel deutlich ab. Hier schleichen sich plötzlich Melodram und Kolportage ein, konventionelle Spionage-Machenschaften besetzen den Erzählraum, der Held muss lernen, sich als Spielball in den Stellvertreterkriegen diverser Geheimdienste zu begreifen, und vom israelischen Mossad her fällt ein sensationell anderes, allerdings wenig glaubwürdiges Licht auch auf das Verhalten des verräterischen George. Solcher Zugeständnisse an die Konventionen der Überraschungsdramaturgie hätte «De Niro’s Game» freilich gar nicht bedurft. Die singuläre Wucht von Hages Bürgerkriegserzählung hatte doch schon zwei atemlose Großkapitel lang für sich gesprochen.
    Auch Elias Khoury schickt in einem Roman einen jungen Kerl in Beirut in die Schule des Bürgerkriegs. Khoury ist ein umtriebiger, auf drei Kontinenten geschäftiger Beiruter Schriftsteller, Gastprofessor an mehreren amerikanischen Universitäten, politischer Aktivist und einerder einflussreichsten
public intellectuals
der arabischen Welt. Seit dem Ende des Bürgerkriegs thematisiert er immer wieder neu die Konfliktlinien und Fraktionskämpfe im ethnisch, religiös und politisch zerrissenen Libanon, vor allem den palästinensisch-israelischen Dauerkonflikt, der immer wieder auch den Libanon in Mitleidenschaft zieht. In Khourys Roman «Yalo» ist wiederum, wie bei Rawi Hage, ein vaterloser Drifter und Schulabbrecher die Perspektivfigur. An ihr kann Khoury, ganz ähnlich wie Rawi Hage, zeigen, dass es in Bürgerkriegszeiten für einen unerfahrenen jungen Mann verführerisch leicht ist, in den Gewaltmodus zu schalten, aber so gut wie unmöglich, danach wieder den zivilen Gang bürgerlicher Ordnung einzulegen. Auch bei Khoury geht es um die Motive des Freundesverrats und der dubiosen Ersatzväter, die auf unwissende Welpen einen unheilvollen Einfluss ausüben.
    Sein Protagonist – Held wird man den wüsten Jungen nicht nennen wollen – heißt Yalo und ist ein Sohn aus frommer christlicher syroaramäischer Familie. Seinen Vater hat er nie gekannt. Zu Beginn ist er ein politisch naiver und orientierungsloser Teenager,

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