Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
innerparteilichen Widersacher fürchten muss, so unklar sind seine Wahlchancen. Meinungsumfragen zeigen einen anderen als populärsten Politiker des Landes: seinen Gegenspieler Narendra Modi von der größten Oppositionspartei BJP , ihm werden die meisten Chancen auf das Amt des Ministerpräsidenten eingeräumt. Der Hindu-Nationalist hat dreimal hintereinander die Wahlen im Bundesstaat Gujarat gewonnen. Er wurde wegen seiner industriefreundlichen und effektiven Politik von India Today mehrfach zum besten Chief Minister des Landes gewählt. Investoren drängen sich geradezu in den indischen Nordwesten, Modi rollt ihnen den roten Teppich aus. Dass er auch noch der witzigere und schlagfertige Redner ist als Rahul Gandhi, könnte dem weißbärtigen Mittsechziger weitere entscheidende Pluspunkte bringen. Und noch ein Pluspunkt: Der BJP -Kandidat wurde nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wie sein Konkurrent mit dem großen Namen: Der Sohn eines kleinen Angestellten aus einer niedrigen Kaste hat sich mit eigener Kraft nach oben gearbeitet, hat in Kantinen als Aushilfskraft geschuftet, bevor ihn die Parteikarriere nach oben trug.
Doch es gibt eine dunkle, eine sehr dunkle Seite im Leben des Narendra Modi. Bei vielen Nicht-Hindus steht er im Verdacht, ein gefährlicher Rassist zu sein. Und dafür gibt es Anhaltspunkte, etwa weil er sich als Jugendlicher im berüchtigten und scharfmacherischen Rashtriya Swayamsevak Sangh ( RSS ) aktiv engagierte. Besonders aber wegen der Vorgänge im Jahr 2002, als er schon Chefminister Gujarats war. Damals brachen in der Provinz blutige Unruhen aus. Ein Feuer in einem Zug hatte 59 hinduistischen Pilgern das Leben gekostet, der Tatverdacht fiel auf muslimische Terroristen. Die Rache war grausam, wahllos schlug die Mehrheit gegen die Minderheit zurück. Mehr als tausend Menschen – überwiegend Muslime – kamen bei den tagelangen Pogromen ums Leben. Der sonst so effektive Modi ließ den Mob gewähren, manche behaupten sogar, er hätte ihn über seine Helfer und deren Hetzparolen angefacht. Im Jahr 2005 verweigerten die amerikanischen Behörden dem indischen Politiker die Einreise, wegen seiner »Verantwortung für schwere Verletzungen der Religionsfreiheit«.
Narendra Modi gilt jetzt landesweit als Favorit. Aber selbst in konservativen Kreisen überlegen sich noch einige, ob er der Richtige sein kann. »Wir brauchen einen wirklich säkularen Kandidaten«, sagt spitz Nitish Kumar, der einflussreiche Chefminister von Bihar, der mit seiner Janata-Dal-Partei der BJP nahesteht und als möglicher Verbündeter gilt. Koalitionspartner aber wird jeder Wahlsieger 2014 brauchen, ob er Gandhi oder Modi heißt, oder ob es einen anderen, dann allerdings sehr überraschenden Triumphator gibt: Die indische Politik gilt inzwischen als so zersplittert, dass sich vermutlich gleich ein halbes Dutzend Parteien in einer Regierung zusammenfinden müssen. Und damit auch divergierende Interessen, die einen Aufbruch, neue, mutige Reformen unwahrscheinlich machen.
Ob ein sanfter, kompromissbereiter Zauderer oder ein brachialer, kontroverser Machtmensch die Zukunft Indiens gestalten wird, dürfte sich an den Schnittstellen der indischen Gesellschaft entscheiden. Dort, wo starke muslimische Minderheiten auf Hindu-Mehrheiten treffen, wo neue Stadtgebiete und Top-Universitäten den Ausgebildeten Chancen verheißen und eine neue Mittelschicht sich gegenüber den Zurückgebliebenen abgrenzt, wo die Gegensätze zwischen Fortschritt und dem Beharrungsvermögen des Ewiggestrigen besonders nahe aufeinanderprallen. Das trifft auf manche Teile Indiens zu. Aber vielleicht auf keinen so wie auf den Bundesstaat Andhra Pradesh mit seiner modernen Hauptstadt Hyderabad und seinen nahegelegenen, schmerzlich rückständigen ländlichen Regionen.
Hyderabad war bis zur indischen Unabhängigkeit über 220 Jahre lang ein Fürstenstaat, regiert von einem der reichsten Männer der Welt. Als legendär galten die Diamanten der muslimischen Nizam, wie sich das Herrschergeschlecht nannte. Der berühmteste aller Edelsteine, angeblich 400 Karat schwer, diente als Briefbeschwerer und soll während des Kampfes gegen die britischen Kolonialherren verloren gegangen sein. Was von den anderen Schätzen übrig war, mussten die Nachfolger des Fürsten später zum großen Teil dem indischen Staat zu einem Spottpreis verkaufen. Geblieben sind neben den Legenden geheimnisvolle Bauwerke, die zum Weltkulturerbe zählen: die mächtige
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