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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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unbequem, weil wir das Bettgestell hatten höher stellen müssen. Es klingt, wenn ich heute darüber spreche, so unwirklich, als handelte es sich nicht um mich, sondern um einen anderen Menschen.« Sie heiratet einen ihrer Freunde aus dem Untergrund, trennt sich aber von ihm, als sie Carlos Araújo kennenlernt. Im Februar 1979, während der dunkelsten Tage der Diktatur, geht Dilma Rousseff den Häschern des Regimes ins Netz. Sie wird in São Paulo verhaftet.
    Es folgen drei schlimme Jahre im Operação Bandeirante und in Tiradentes, den beiden berüchtigten Folterzentren. Die junge Frau aus Zelle sechs spricht mit ihren Mithäftlingen nie über die Qualen. Das ist auch nicht nötig. Alle dort wissen, was passiert, wenn die schweren Schritte der Wächter näher kommen, wenn der Eisenschlüssel in der Tür knarrt, man zu »Verhören« abgeführt wird. Alle haben schon an der »Affenschaukel« gelitten, so nennt sich die Eisenstange, an der die Opfer wie ein Stück Fleisch stundenlang nackt aufgehängt werden. Und am »Drachenstuhl«, wo Elektrokabel an die Brustwarzen angeschlossen werden.
    »Dilma war körperlich mitgenommen, aber ihr Wille war ungebrochen«, erinnert sich Cida Costa, die mit ihr eine Zelle geteilt hat. Die beiden Frauen freunden sich an, rund fünfzig weibliche politische Gefangene sitzen zwischenzeitlich im »Turm der Jungfrauen«, wie sie den runden, mehrstöckigen Bau nennen. »Eine verschworene Gemeinschaft«, sagt Cida Costa im Rückblick. Sie studiert nach ihrer Entlassung Jura und arbeitet heute als Staatsanwältin. Im Dezember 1972 ist es dann auch bei Dilma Rousseff so weit. 22 Pfund hat sie abgenommen, ihre Schilddrüse ist zerstört, vielleicht ein Vorbote der späteren Krebserkrankung. Doch Rousseff will leben. Will kämpfen. Will ihr Land gestalten. Sie ist am Tag ihrer neuen Freiheit ja gerade erst 25 Jahre alt.
    Sie schließt ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften ab und geht nach Porto Alegre in den Süden des Landes, wo sie sich nach dem Sturz der Diktatur als Verwaltungsexpertin einen Namen macht. Schnell spricht sich herum, dass sie eine extrem ehrgeizige und fähige Organisatorin ist. Im Bundesstaat Rio Grande do Sul wird sie Bergbauministerin. Sorgfältig beobachtet sie die Veränderungen in der großen Politik. Verlässt nach einem Streit ihre kleine Partei und schließt sich der Partido dos Trabalhadores ( PT ) an, der mächtigen, gemäßigt linken Arbeiterpartei. Sie ist immer noch stolz auf ihre radikalen Wurzeln, aber sie ist pragmatisch genug geworden, um zu erkennen, was in der politischen Praxis funktioniert und was nicht. Und mit welchen Mächtigen man Koalitionen schmieden muss.
    Die Militärdiktatoren sind aus dem Amt gejagt, eine große Erleichterung. Das Land hat aufgeatmet. Aber zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen führt der Sieg der Demokratie zunächst nicht. Anfang der Neunzigerjahre liegt Brasiliens Wirtschaft noch am Boden. Die Gewaltverbrechen in den Großstädten sind zum Alptraum geworden, Banden kontrollieren den Raubbau in den Urwäldern, und während manche unverschämt reich werden, sterben die Babys in den Slums an Unterernährung. Der Staat liefert damals nicht einmal die rudimentärsten Dienstleistungen, die Hyperinflation frisst weit mehr auf als das, was an Gehaltserhöhungen gezahlt wird. Eigentlich eine Blütezeit für die Linke. Aber auch zu Dilma Rousseffs Verblüffung schafft dann ausgerechnet ein eher konservativer Politiker die Wende. Fernando Henrique Cardoso holt 1993 die besten Köpfe des Landes zusammen, das Team schafft mit dem Real eine neue Währung, wertet ihn in einer schmerzhaften Aktion gegenüber dem Dollar ab. Er öffnet die Zollschranken und setzt die heimische Industrie der internationalen Konkurrenz aus. Manche der bis dahin künstlich beschützten Betriebe überstehen die Rosskur nicht. Aber die flexiblen, die innovativen gehen gestärkt aus den Umwälzungen hervor. Das Vertrauen in die Wirtschaft kehrt zurück, der Konsum steigt. Und Cardoso wird belohnt – er gewinnt 1994 die Wahlen. Vier Jahre später kann er seinen Erfolg wiederholen, obwohl schon damals klar ist, dass er an einer großen Aufgabe scheitern wird: der einigermaßen gerechten Verteilung des Reichtums im Land.
    Der Neue schafft es erst im vierten Anlauf 2002 ins höchste Staatsamt: Luiz Inácio Lula da Silva – im Volk und von der Presse nur »Lula« genannt – kommt von ganz links und von ganz unten. Der frühere Schuhputzer, Metallarbeiter und

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