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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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Gewerkschaftsführer erlebt Brasiliens empörende Ungerechtigkeiten in seinem engsten Umfeld: Seine Frau Maria und ihr gemeinsames ungeborenes Kind sterben, weil sich die Familie keine ausreichende medizinische Versorgung leisten konnte. Solche frühen Erlebnisse prägen Lula, lange hält er einen orthodoxen Marxismus für die Antwort auf die Probleme des Landes. Vielen gilt er als Bürgerschreck, sie verweisen auf seine zahlreichen Haftstrafen wegen der Organisation illegaler Streiks. Aber sie haben nicht bemerkt, wie Lula sich nach und nach den Realitäten angepasst hat, und wie er begriffen hat, dass er auch mit den Wirtschaftsführern zurechtkommen muss, wenn er das Land ökonomisch nach vorn bringen will.
    Er erweist sich im Präsidentenamt schnell als erstaunlich pragmatisch und unternehmerfreundlich. Er wandelt auf einem schmalen Grat, um sich bei allen Veränderungen in seinen wesentlichen Grundüberzeugungen treu zu bleiben. Reist innerhalb weniger Tage zu den großen Wirtschaftsführern der Welt nach Davos wie zum Gegenprogramm der Alternativen nach Porto Alegre. »Ich hielt an beiden Orten dieselbe Ansprache über Hunger und seine Bekämpfung«, sagt er im Rückblick stolz. Und noch etwas fällt an Lula bald positiv auf – er hat einen guten Riecher für kompetente Mitarbeiter. Als Energieministerin und später als seine Kabinettschefin holt er sich Dilma Rousseff. Ihm hat imponiert, wie sie es in ihrem südlichen Bundesstaat geschafft hat, die Stromversorgung zu sichern und Blackouts weitgehend zu vermeiden. Sie ist von seinem Charisma und Charme ebenso wie von seiner Zielstrebigkeit und politischen Weitsicht tief beeindruckt.
    US -Präsident Barack Obama umschmeichelt ihn als den »populärsten Politiker der Welt«, die Time ernennt ihn 2008 gar zum einflussreichsten aller Staatsführer. Lula schafft es, gute Beziehungen mit Washington zu pflegen und gleichzeitig mit den Verfemten der Weltpolitik im Gespräch zu bleiben. Brasilien wird so zu einer außenpolitischen Fast-Großmacht. Lula besucht den Altrevolutionär Fidel Castro in Kuba, nennt den Autokraten Hugo Chávez »den besten Präsidenten Venezuelas der letzten hundert Jahre«, und sogar mit dem Holocaust-Leugner Mahmud Ahmadinedschad in Teheran findet er so viele Gemeinsamkeiten, dass er glaubt, im Atomstreit »zu 99 Prozent« eine Verhandlungslösung möglich gemacht zu haben. Doch so erfolgreich »Lula Superstar« sonst ist, da täuscht er sich: Das gemeinsam mit der Türkei erarbeitete Kompromisspapier erweist sich schon bald als Luftnummer.
    Ein Freund des Kleingedruckten ist der Volkstribun nicht, ganz im Gegensatz zu Dilma Rousseff; seine Meisterschaft liegt in der mitreißenden Rede, im Aufzeichnen großer Linien. Innenpolitisch hilft er mit, die Not der Unterprivilegierten mit den Sozialprogrammen »Bolsa Familia« und »Fome Zero« (»Null Hunger«) zu lindern, gut dreißig Millionen Menschen von der Unterschicht in die Mittelschicht zu führen. In der Außenpolitik ist er ein engagierter Verfechter einer multipolaren Welt mit engen Kontakten zu den »Gringos« in Nordamerika wie zu den Europäern. Aber womöglich noch wichtiger sind ihm als selbsternannten »Führer des Südens« beste Beziehungen zu Staaten in Nahost und Afrika – und zu den BRIC s, zu Indien, Russland, China. Noch in seiner Amtszeit löst die Volksrepublik im Fernen Osten den amerikanischen Nachbarn im Norden als größten Handelspartner Brasiliens ab.
    Der äußerst populäre Lula hat es geschafft, seinem Volk den tief verwurzelten Minderwertigkeitskomplex auszutreiben und den Glauben an sich selbst zurückzugeben. Er wäre wohl auch problemlos in eine dritte Amtszeit gewählt worden. Doch das Gesetz lässt nur zwei Perioden an der Macht zu. Also musste sich der Charismatische einen Nachfolger aufbauen. Er entschied sich für Dilma Rousseff – trotz oder vielleicht gerade weil sie so etwas wie ein politischer Gegenentwurf zu ihm selbst ist: nüchtern, detailversessen, arbeitswillig. Die so Gesalbte musste zwar in die Verlängerung, weil sie in der ersten Runde die absolute Mehrheit von 50 Prozent knapp verfehlte. Aber sie gewann dann im zweiten Wahlgang recht problemlos: Die erste Lateinamerikanerin aus der Generation der Guerillakämpfer der Sechzigerjahre, die es bis ganz nach oben geschafft hat. Amtsantritt ist der 1. Januar 2011.
    Vom ersten Tag an macht die neue Präsidentin klar, dass ihr Arbeitspensum enorm ist und dass sie auch von anderen einen Einsatz

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