Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
Vom Netzwerk:
einem Speisesaal, den Chippendale-Stühle und Porzellan der East India Company zieren, eine Bibliothek, ein Musikzimmer mit einem deutschen Piano. Das obere Stockwerk ist den Privaträumen vorbehalten. Gelegentlich kommt Dilma Rousseffs geschiedener Mann Carlos Araújo, ein alter Weggefährte aus Guerilla-Tagen, vorbei; selten auch Paula, die einzige Tochter des Paares, die als Staatsanwältin arbeitet. Nur einmal, am Rand des Nationalfeiertages 2011, sah man die Regierungschefin kurz mit ihrem einjährigen Enkelsohn auf dem Schoß. Ansonsten pflegt Dilma Rousseff das Image der einsamen Wölfin. Sie wirkt hart gegenüber anderen wie gegenüber sich selbst – eine Kämpferin, die es alles andere als leicht gehabt hat. Und die ihr Leben vor allem eins gelehrt hat: Man kann alles schaffen, alle Widrigkeiten überwinden, selbst die erlittene Folter verarbeiten. Man muss nur an sich selbst glauben. Und sich auf möglichst wenige andere verlassen. Aber ihre Geschichte hat sie auch einsam gemacht, weitgehend unfähig, Strömungen im Volk wahrzunehmen und auf sie zu reagieren.
    Rousseff ist – nach 35 männlichen Kollegen -– die erste Frau im brasilianischen Präsidentenamt. Sie kommt nicht von ganz oben in der sozialen Hierarchie wie so viele ihrer Vorgänger, die in die reichsten Familien des Landes hineingeboren wurden. Sie kommt aber auch nicht von ganz unten wie ihr charismatischer Vorgänger und Förderer Luiz Inácio Lula da Silva. Sie ist ein Kind der gehobenen Mittelklasse, aufgewachsen in einem geordneten und gut situierten Immigrantenhaushalt. Ihr Vater stammt aus Bulgarien und war dort in den Zwanzigerjahren ein prominenter Kommunist. Politisch verfolgt, floh er nach Frankreich und dann weiter nach Argentinien und Brasilien. Seine erste Frau war schon in Europa verstorben, sodass er sich eine neue private und berufliche Existenz aufbauen musste. Er heiratete eine viel jüngere Lehrerin und machte nach einem Zwischenstopp in São Paulo schließlich in Belo Horizonte Karriere, wo er als leitender Angestellter für die deutsche Stahlfirma Mannesmann arbeitete und nebenbei auch noch erfolgreich ins Grundstücksgeschäft einstieg. Die Familie bewohnte ein großes Haus in Innenstadtnähe, drei Hausangestellte machten die Besorgungen, politische Honoratioren gingen ein und aus. Man war – vorsichtig – links, eher sozialdemokratisch denn kommunistisch, schließlich hatte sich der Vater ja zum Unternehmer gewandelt. Dilma, geboren am 4. Dezember 1947, hatte noch zwei Geschwister; Zana Lucia verstarb früh, ihr Bruder Igor wurde zu einem erfolgreichen Anwalt.
    Man darf sich Dilma Rousseffs Jugend als weitgehend sorgenfrei und sehr europäisch angehaucht vorstellen: Der strenge Vater legt großen Wert auf klassische Erziehung, sie erhält Privatunterricht in Geschichte, Französisch und am Piano. Dilma kommt an eine elitäre Boarding School, die von Nonnen geleitet wird. Mit 17 rebelliert sie gegen die Institution, die ihr zu konservativ, zu verknöchert erscheint. Der Vater war kurz zuvor gestorben, sie sucht nun einen eigenen Weg im Leben. Sie wählt die Central State Highschool aus, eine öffentliche Einrichtung mit Kindern aus allen sozialen Schichten. Es ist die Zeit ihrer endgültigen Politisierung. Sie richtet sich gegen die Militärdiktatoren, die 1964 das Land übernommen haben. Dilma Rousseff erzählt bis heute wenig über ihre Vergangenheit. »Es war keine Zeit für Debütantinnenbälle«, formuliert sie einmal in einem Interview, in ihrer typisch lakonischen Art.
    Sie schließt sich mit 19 dem kommunistischen Untergrund an. Genauer gesagt der Val-Pamares, einer extrem linken Gruppe, die sich den Sturz der Militärs auf die Fahnen geschrieben hat, und der dazu fast jedes Mittel recht ist. Dilma Rousseff legt Wert auf die Tatsache, dass sie nie selbst zum Gewehr gegriffen oder sonstwie Gewalt angewendet habe. Unbestritten ist, dass sie an dem Transport von Waffen beteiligt war und an der logistischen Planung eines spektakulären Bankraubs. Im Jahr 2003 hat sie der brasilianischen Zeitung Folha de São Paulo einen Einblick in das Guerilla-Leben von damals gegeben: »Ich weiß noch, einmal trugen Celeste (eine Mitstreiterin) und ich einen ganzen Eimer voller Sprengstoff im linken Arm und Waffen, die wir unter Baumwolltüchern verborgen hatten, im rechten Arm zu unserem Studentenheim und versteckten das alles unter unseren Betten. Wir schliefen förmlich auf den Gewehren, und ich erinnere mich, es war sehr

Weitere Kostenlose Bücher