Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
vielleicht ein bisschen Tibetisches Augenlesen mit dem Bhagwan-Jünger »Immer-näher-zu-Gott«, einem porschebebrillten Experten aus Beverly Hills, der beim Blick in die Pupillen sexuelle Vorlieben erkennt? Kartenlegen mit der holländischen Bhagwan-Jüngerin »Sternenklar«? Eine profane Bananenbrot-Backlehrstunde? Oder doch eher anspruchsvolle Selbstfindung in einem der Kurse »Kühles Feuer« oder »Wie man seine Unwürdigkeit verliert«?
Sauber sind die Wege zwischen Sportplätzen und Schwimmbad geharkt, wo am Buddhafield Plaza der Cappuccino oder die Nirwana-Pizza gereicht wird; sorgfältig sind die Parks angelegt, mit stillen Schwänen und kreischenden Papageien, freundliche, sich häufig in den Armen liegende Menschen überall. Den letzten Energiestoß am Tag bringt für die Initiierten der Besuch im Samadhi, dem Mausoleum des Meisters. Ein Haus mit viel Marmor, heruntergekühlt auf 18 Grad, wie Er es stets wünschte. Es geht durch eine Vorhalle, wo, von einem Jünger bewacht, der Lieblings-Rolls-Royce Oshos zur letzten Ruhe abgestellt ist; vorbei an der Privatbücherei des Bhagwan, wo die Titel nach der Farbe der Buchdeckel zusammengestellt sind, von Krishnamurti bis Iacocca; vorbei am Zahnarztstuhl, dem blitzblank geputzten Bad des Meisters bis ins Allerheiligste, das kristallüberstrahlte Marmorbett mit der eingelassenen Urne.
Bei allen wirtschaftlichen Erfolgen war auch damals schon klar: Es musste Streit geben um den richtigen Weg nach dem Abgang des charismatischen Führers, Spannungen um Macht und Ausrichtung. »Wir machen zu viele Kompromisse, bald kommen noch die Reisebusse zu Kaffeefahrten in den Ashram. Es ist, als gäbe man den Vatikan zum Volleyballspielen frei«, klagte einer der Sannyasin. Und nicht jeder glaubte dem neuen Chef und ehemaligen Leibarzt die abenteuerliche Geschichte, dass der Bhagwan vermutlich von amerikanischen Behörden mit dem langsam den Körper zersetzenden Thallium vergiftet worden war – eine Obduktion fand ja nicht statt.
Wer im Jahr 2013 durch die Parks von Pune spaziert, der sieht eine konsequente Fortentwicklung von damals (und noch immer Aids-Test, Roben, Osho-Buchhandlung, noch immer gesalzene Eintrittspreise). Wer sich in die Nachrichten- und Meinungsblogs der Bewegung vertieft, der ahnt, dass sich die Spannungen wohl eher noch verschärft haben. Von »Habgier, die sich wie ein Krebs in unserer Kommune ausbreitet«, ist da die Rede, vom Ausschluss unliebsamer »Dissidenten«. Schon seit Jahren fliegen die Fetzen, und immer geht es um angeblichen Verrat an den Ideen des Meisters und den richtigen Weg, seinen Weg weiterzugehen. 15 der 21 aus dem Führungszirkel, der sich nach dem Ableben des Guru herauskristallisiert hat, wurden inzwischen ausgeschaltet oder haben freiwillig die Segel gestrichen. Das Zentrum der Sekte scheint sich ins Ausland verlagert zu haben, mit einem Schwerpunkt in den USA , wohin die meisten Tantiemen der exzessiven Osho-Vermarktung fließen, und einem anderen in Deutschland.
Weiter prasseln auch Komplimente auf den Ursprungsort und auf Osho nieder: Auf Facebook hat der Meister mehr als 685000 Freunde, fast schon Popstar-Niveau. Andere soziale Netzwerke stehen nicht nach. Auffallend sind die begeisterten Kommentare von Lifestyle- und Mode-Medien. Sie alle beschreiben den Ashram von Pune wie einen Platz aus einer anderen Welt, wie ein exterritoriales, außer- oder überirdisches Gelände. Von der pulsierenden Stadt mit ihren Hochtechnologieanlagen, Mittelklassewohnvierteln und Slums, die ja gleich jenseits des Koregaon-Park beginnt, ist nirgendwo die Rede. Und es stimmt ja auch: Mit Indien hat dies alles praktisch nichts zu tun. Nur wenige Inder nutzen den »Club Meditation« als Gäste, die Anlage bietet den hier ansässigen Menschen nur wenige, und wenn, dann schlecht bezahlte Arbeitsplätze.
Hinduismus, Buddhismus, Sikhismus, Jainismus, Islam – alles, was dieses Land, seine Religionen, seine Zivilisation, seine Geschichte und seine Gegenwart im Positiven wie im Negativen so entscheidend (mit-)ausmacht, hat Bhagwan Shree Rajneesh alias Osho nie wirklich interessiert. Indiens weltweit prominentester Guru ist auch sein unindischster.
9 BRASILIEN
Bekehren, betrügen, befreien
Es ist ein Garten Eden, den der weißhaarige Alte mit seiner Familie bewohnt: Bambussträucher, Palmen und Pinien, ein Teich mit Karpfen, über den sich eine kleine Holzbrücke spannt, eine riesige naturbelassene Wiese mit Unkraut, Gänseblümchen und wilden
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