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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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dem größten katholischen Verlag in Lateinamerika, den Bereich Religion; er begann dort auch seine eigenen Bücher zu veröffentlichen. Es war eine schwierige Zeit für progressive Theologen in Brasilien: Câmara wurde von den Militärdiktatoren mehr und mehr als »roter Bischof« diffamiert, mehrere Attentate wurden auf ihn verübt, sein geistlicher Sekretär kam dabei ums Leben. Und auch Boff sah sich nun im Kreuzfeuer. Gemeinsam mit dem peruanischen Theologen Gustavo Gutiérrez entwickelte er die »Theologie der Befreiung«, die den Regierenden von rechts außen ein Dorn im Auge sein musste, war sie im Kern doch viel mehr eine sozialrevolutionäre als eine christlich-katholische Bewegung. Boff geriet häufig mit den heimischen Zensoren aneinander. Doch ausgerechnet als sich in Brasilien die Dinge zum Besseren zu wenden begannen, als 1985 endlich die über zwei Jahrzehnte herrschende Militärdiktatur ihr Ende fand, kam es für Boff zum großen Eklat, zur bitteren Auseinandersetzung. Und zwar mit seinen anderen Feinden – denen im Vatikan.
    Leonardo Boff schnappt sich gedankenverloren einen der Kekse, die seine Frau mit dem Tee aufgetragen hat. »Die katholische Kirche hat sich in ihrer Geschichte praktisch immer sehr gut mit den Reichen verstanden, mit der Mittelschicht konnte sie noch einigermaßen, doch mit den Unterprivilegierten fand sie kaum Gemeinsamkeiten. Sie hat zu lange zu real existierenden Phänomenen wie Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung geschwiegen – und sich so zum Komplizen der Herrschenden gemacht. Unser Konzept der Befreiungstheologie entstand durch die Arbeit mit den Ärmsten auf dem Land, durch die Selbstorganisation katholischer Basisgemeinden. Sie müssen das im Kontext der Zeit sehen: Fast überall in Lateinamerika waren mit der militärischen und ökonomischen Unterstützung der USA Diktatoren an die Macht gekommen. Wir Befreiungstheologen verstanden uns als Sprachrohr der Unterdrückten, ganz im Einklang mit dem, was in der Bibel steht. Gott hat das Elend seines Volkes gesehen und das Geschrei über ihre Bedränger gehört, heißt es da wörtlich. Und bei Lukas im Neuen Testament: ›Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.‹ Ich habe die Erlösung als Zentralbegriff der biblischen Heilsbotschaft auch als eine sozialpolitische und ökonomisch revolutionäre Veränderung begriffen.«
    So interpretiert wird Jesus zum Vorkämpfer gegen United Fruit, Texaco und den US -Geheimdienst, gegen einen Kapitalismus, der in Reich und Arm teilt, zum Subversiven – Boffs Vaterunser klingt ganz und gar nicht nach Die-andere-Wange-hinhalten, sondern nach Aufruf zum Aufruhr.
    Dass Boff und Papst Johannes Paul II. sich nicht annähern konnten, lag wesentlich an ihren persönlichen Erfahrungen – sie waren wie Wesen auf unterschiedlichen Planeten. Hatte der Brasilianer die rechten Militärdiktatoren mit ihren alltäglichen Folterpraktiken und die schamlose Bereicherung der Kapitaleigner vor Augen, prägten den Polen die Unmenschlichkeit der Kommunisten, ihre brutale Zermürbungstaktik gegenüber Priestern und Andersdenkenden. Johannes Paul bekam schon Ausschlag, wenn er das Wort Marxismus nur hörte, Boff kannte keine Berührungsängste zu den Kommunisten. Im Vatikan hielt man seine Thesen für ketzerisch – der Papst ließ seinen ideologischen Scharfmacher von der Leine, Joseph Aloisius Ratzinger, als Präfekt der Glaubenskongregation so etwas wie der Hüter der reinen Lehre. Anfang 1984 schickte Ratzinger einen persönlichen Brief an Boff, mit kritischen Anfragen zu dessen letztem Buch Kirche: Charisma und Macht . Im September desselben Jahres wurde der brasilianische Ketzer zu einem Gespräch in den Vatikan zwangsgeladen. »Ich musste in demselben dunklen und hässlichen Befragungszimmer auf demselben Stuhl im Vatikan Platz nehmen wie einst Galileo Galilei. Ich hatte mir gar nicht träumen lassen, dass ein so unbedeutender Theologe aus der Peripherie dasselbe Geschick erleiden würde wie der berühmte Wissenschaftler – was für eine illustre Gesellschaft. Ich war auf eine intellektuelle Auseinandersetzung vorbereitet. Es wurde dann in dem Inquisitionszimmer eine sehr höfliche, aber auch sehr unversöhnliche Auseinandersetzung unter vier Augen mit Ratzinger. Am Ende blieb der Vorwurf, meine Gedanken würden ›zur Zerstörung des authentischen Sinns der Sakramente‹ führen. Mir wurde ein

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