Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
werden. Dharavi ist ihr Arbeitsplatz, es hat die nötige Minimalinfrastruktur. Irgendwo anders zu leben, können sie sich nicht vorstellen. Und die 25 Quadratmeter, die eigene Kochzeile, die eigene Toilette, die doch zumindest für eine knappe Mehrheit, für die alteingesessenen Dharavianer-Familien, garantiert wird? Auch das erscheint den allermeisten nicht sonderlich attraktiv. »Den großen Reibach werden korrupte Politiker und Bauunternehmer machen, und zwar auf unsere Kosten«, sagt Töpfer Ramjibhai Patel. »Und deswegen werden wir uns den Bulldozern entgegenstellen, mit unseren Babys auf dem Arm«, fügt er leicht melodramatisch hinzu.
Einen ersten Vorgeschmack auf kommende Zeiten haben die Slumbewohner im Frühjahr 2011 bekommen. Da verfügte der Bombay High Court, dass zehn Meter links und rechts von einer Wasserleitung keine Gebäude stehen dürften, und schickte bei Nacht und Nebel die Männer mit den schweren Wagen und der Abrissbirne. Sie schlugen eine Schneise durch Dharavi, Hunderte verloren in dem Pipeline genannten Viertel ihre Bleibe. Sie schlüpften größtenteils bei Freunden ganz in der Nähe der Wasserleitung unter, noch mehr Menschen pro Quadratmeter. Über einen adäquaten Ersatz wird immer noch gestritten. Und im Sommer 2012 musste dann sogar der höchste zuständige Regionalpolitiker, Chief Minister Prithviraj Chavan von Maharashtra, zugeben, dass bei der Vergabe neuer Baugenehmigungen wohl wieder einmal in großem Ausmaß geschmiert wurde: Er leitete ein Verfahren gegen sechs Baulöwen ein, die mit der Dharavi-Rehabiliationsbehörde »irregulär« zusammengearbeitet hatten. Anwälte wälzten Papiere zur Verteidigung der Slum-Veränderer, gleichzeitig arbeiteten ihre Kollegen an einem Entwurf, mit dem das Recht der Bewohner, im Slum zu bleiben, gefestigt werden sollte.
Spätnachmittag. Im hämmernden, schweißenden, recycelnden Dharavi merkt man nichts von Entspannung, aber in anderen Teilen wird es gegen fünf, halb sechs etwas relaxter. Happy Hour. Wer es sich leisten kann, wechselt jetzt von seinem Arbeitsplatz zu Cocktail und Tapas ins Four Seasons Hotel nahe der Wasserfront im Stadtteil Worli. In die Aer-Bar, 34. Stock. Von den schneeweißen Designersesseln fällt der Blick weit übers Arabische Meer auf der einen Seite, zur Pferderennbahn Haji Ali und den alten Textilfabriken auf der anderen. Nicht weit von hier sitzt die Deutsche Industrie- und Handelskammer, die größte der entsprechenden deutschen Einrichtungen weltweit. Und auch Wolkenkratzer sind zu sehen, neu im Stadtbild. Was allerdings für Bombay so bemerkenswert scheint – 31 Gebäude über 100 Meter hoch gibt es inzwischen in der indischen Metropole –, nimmt sich im Verhältnis zur chinesischen Konkurrenz doch noch recht bescheiden aus: In Schanghai existieren mehr als 200 solche Wolkenkratzer, in Hongkong 500.
Aber die Aer-Bar ist auf jeden Fall eine eindrucksvolle Show-Bühne. Models in knappen Glitzerkleidern schäkern mit Geschäftsleuten in Maßanzügen, die Atmosphäre ist so kosmopolitisch und globalisiert und unindisch, wie es das Haus in seinem Werbeprospekt verspricht: »Eine einmalige Erfahrung des alten und neuen Mumbai. Wählen Sie von einer großen Auswahl an Pizza und Sushi, Mittelmeer-Spezialitäten und dekadenten Eiscremes, Sorbets. Champagner während der Happy Hour zum halben Preis.« Das macht dann für ein Glas den Monatsverdienst des Frosch-Schlächters.
Fünf Uhr nachmittags ist auch die Zeit, wenn Bollywood-Regisseur Sangeeth Sivan eine erste Tagesbilanz zieht. Bei unserem Treffen draußen im Freilichtstudio Filmalaya wirkt er ausgesprochen mies gelaunt. Superstar Aishwarya Rai hat er trotz aller Werbeversuche nicht für seinen Film Apna Sapna Money Money gewinnen können. Und manche der anderen sogenannten »Großen«, die bei ihm unter Vertrag stehen, waren ausgesprochen unpünktlich. So ist erst eine Szene richtig im Kasten. Umso wichtiger, dass es jetzt erfolgreich zur Sache geht: Einbruch in eine Villa, die Verbrecher werden gestört, eine geheimnisvolle Schöne soll auftauchen und sich mit ihnen in den Todeskampf stürzen. Der Kameramann sitzt auf einem Kran in der Höhe der Palmenwipfel; Beleuchter werkeln unten am Boden mit einem Gewirr von Kabeln. Vier Schauspieler und vierzig Komparsen wirbeln über das Gelände, durcheinander laufende »Getränkeboys« hantieren mit Cola-beladenen Tabletts. »Action!«, ruft Shivan, und plötzlich wird aus dem Chaos höhere Ordnung. Die Szene
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