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Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die neuen Großmächte: Wie Brasilien, China und Indien die Welt erobern - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Follath
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einen Erdrutschsieg. Sie ist nun schon fast zwei Jahrzehnte für das Wohlergehen von fast dreieinhalb Millionen Menschen mitverantwortlich – einen Bezirk mit der wahrscheinlich größten sozialen Bandbreite der Welt. Ihre Wähler sind Millionäre, Mittelklasse und sehr, sehr viele Slumbewohner. Für die Aufgabe, auch die Interessen der Unterprivilegierten zu vertreten, ist die Prominententochter wahrscheinlich sogar besser gerüstet als die meisten ihrer Kollegen im Parlament von Delhi: Sie ist gelernte Sozialarbeiterin.
    Erste Station ist ihr Parteibüro. Der Jeep bremst scharf ab. Die Leute warten schon vor der Tür, ein halbnackter Guru holt sich im Austausch für seinen Segen eine kleine Spende, das hat Tradition. Vorbei an Dutzenden, die sich im Gang drängen. In dem schlichten Empfangsraum reicht dann ein Assistent einen Zettel: Der Großindustrielle Z. teilt ihr mit, er brauche dringend eine dritte Garage, weder die städtische Genehmigung dafür noch die Erlaubnis für den geplanten Bau des Pools im Garten sei bisher eingetroffen. Dann werden die ersten zwei Dutzend Wartenden eingelassen. Priya Dutt begrüßt sie freundlich, Tee wird gereicht. Alles wirkt entspannt. Doch schon nach wenigen Minuten streiten die Menschen – offensichtlich Angehörige der Mittelklasse – lautstark über die Erweiterung einer Straße. Die Abgeordnete lässt die Dinge eine Weile treiben, fasst die Argumente für und wider zusammen. Doch als sie dann gar nicht mehr zu Wort kommt, haut die Zierliche mit der Faust auf den Tisch. Sofort kehrt Ruhe ein. Offensichtlich ist Priya Dutt eine Respektsperson.
    Nach einer guten Stunde macht sie Schluss. Die Slumbewohner sind nicht zum Basar der Beschwerden erschienen. Das ist meistens so. Zu ihnen muss sie hin. Die Ärmsten, sagt sie, lägen ihr besonders am Herzen. Das mag so sein, allerdings wäre ihre Vernachlässigung auch politisch unklug, geradezu fahrlässig: Der Slum wählt, die oberen Zehntausend meistens nicht. Und sie registrieren genau, wer sich um sie kümmert, und wer nur so tut, als ob. »Häufig sind Politiker hier in Bombay nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems«, sagt sie. »Sie nutzen ihre Stellung, um sich durch Bestechungsgelder zu bereichern. Ich habe einen Vorteil – ich war schon wohlhabend, bevor ich in die Politik ging.«
    Mal kurz ein Sprung über die Welten. Von den Mittelklassehäusern weg, an den Luxushotels in Flughafennähe vorbei, zu dem praktisch in Tuchfühlung liegenden Slum Santacruz mit seinen windschiefen Hütten. Die Abgeordnete hat in eine verlassene Fabrikhalle ausrangierte, von Firmen gespendete Computer schaffen lassen und bietet für die Slumbewohner unentgeltlich Kurse an. Sie ließ Dutzende Toilettenhäuschen im Slum aufstellen, die waren bald zweckentfremdet, in Einzelbestandteile zerlegt, das Wellblech weiterverkauft. Die Aktion war wohl nicht genügend mit den Slum-Lords abgesprochen, den oft sehr zwielichtigen lokalen Vertretern. Sie arbeiten häufig mit den Gangs zusammen, die sich hier vornehm »Companys« nennen und gemeinsam mit korrupten Polizistinnen eine Art Staat im Staate bilden. Diese Koalitionen kontrollieren riesige Wählerblocks. Wer sich gegen sie stellt, hat an den Urnen keine Chance. Weshalb auch Priya Dutt mehr Kompromisse eingeht, als sie eigentlich vertreten kann. Die Abgeordnete spricht von der »riesigen Frustration, der Verzweiflung«, die sie manchmal überkomme. »Vieles ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein«, sagt sie. »Und dieser Wandel zwischen den Welten, ich dachte, ich packe das schon, es wird mit der Erfahrung einfacher. Und finde es doch immer schwerer zu ertragen.« Ihr Mann ist Eventmanager. Am nächsten Abend ist ein neues Großindustriellentreffen angesetzt. Und dann am Freitag die glamouröse Bollywood-Premiere mit ihrem Bruder Sanjay. Da wird sie sich kaum drücken können.
    So unvollkommen sie ihre politische Rolle auch ausführt, so begrenzt ihre Erfolge sein mögen – für Bombay ist Priya Dutt ein großer Fortschritt. Ebenso wie die Regionalregierung des Bundesstaats Maharashtra (zu dem Bombay gehört), die in diesen Tagen ebenfalls von der gemäßigten Kongress-I-Partei beherrscht wird. Ich erinnere mich noch mit Schrecken an frühere Zeiten, als Bombay größtenteils in der Hand der Hindu-Nationalistenpartei Shiv Sena war (durchaus zu Recht abgekürzt als SS). Und an ihren Chef, den Anti-Islam-Hetzer und Hitler-Bewunderer Bal Thackeray.
    Wir saßen in seinem Büro am

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