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Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Titel: Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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damit nicht zu seiner Mutter. „Es ist eine Rose“, sagte sie. „Rosen sind ver-bo-ten!“
    Ende der zwanziger Jahre kam das Geschäft ins Rollen, und er verdiente für kurze Zeit genug, um seine Glashäuser und Anlagen zu renovieren. Wenig später stürzte ihn die Weltwirtschaftskrise wieder in die Armut. Als jemand, der sich täglich mit den Erbanlagen von Pflanzen befasste, fand er die Äußerungen der nationalsozialistischen Partei interessant. Dass auf höchster politischer Ebene über das Erbgut von Menschen gesprochen wurde und darüber, wie man es verbessern und reinhalten konnte, erschien ihm wie ein Schulterklopfen, wie eine Bestätigung, dass auch er wichtige Arbeit leistete. Wenn es stimmte, dass die Juden für die schlechte Wirtschaftslage verantwortlich zeichneten, dass sie minderwertige Gene in sich trugen … Er stand inmitten seiner zerfallenden Anlagen und kam sich vor, als wisse er alles, als habe er schon immer gewusst, was andere jetzt erst herausfanden. Seine Rosen erschienen ihm ungeheuer wichtig, auch wenn sie in dieser schlechten Zeit niemand mehr kaufen wollte.
    Und nun war der Krieg ausgebrochen. Es gab erste Anzeichen, dass die Kämpfe länger anhalten würden. Nicht nur die Jungen und Gesunden, auch Männer in mittlerem Alter, auch solche mit leichteren körperlichen Gebrechen, könnten sich freiwillig melden, hatte ihm unten in Wolfach jemand erzählt. Und Wilhelm beschloss, es zu versuchen. Hier oben würde er früher oder später verhungern. Dann lieber zur Wehrmacht! Der Krieg – war das nicht wie ein großes, großes Unkrautjäten?
    Wilhelm öffnete die Zwischentür zum hinteren Gewächshaus, in dem die Rosen etwas lockerer standen. Er durchquerte es ebenfalls, aber rasch, ohne sich der Schönheit der Blumen hinzugeben. Die Tür am Ende des hinteren Hauses klaffte einen Spaltbreit auf. Wilhelm humpelte ins Freie und zog eine zerknitterte Plane von einem quaderförmigen Etwas herunter, das dort an der Glaswand stand.
    Ein Kanister, verbeult und braun vom Rost. Zehn Liter.
    Wilhelm hob ihn hoch. Er war schwer. Voll bis zum Rand. Ungeschickt hinkte er wieder zurück ins hintere Gewächshaus. Stellte den Kanister für einen Moment ab. Atmete durch. Nur einen Moment.
    Die Rosen verströmten ihren süßesten Duft. Sie ahnten schon den ganzen Tag, was er vorhatte. Es kam nicht überraschend für sie, doch für Pflanzen waren ein paar Stunden Vorahnung nichts. Sie brauchten Tage, Wochen, Monate für Bewegungen. Und selbst wenn er ihnen diese Zeit gelassen hätte, selbst wenn sie ihre stacheligen Arme durch eine Ritze in den Glaswänden getrieben und den Griff des Kanisters mit ihren Stängeln umwunden hätten wie mit Stacheldraht – es hätte ihnen nichts genützt.
    Es war eine entsetzliche Tragödie, dass er die Starken und Schönen vernichten musste, die Verfeinerten, die Sieger. Aber er gab niemanden, der sich um sie kümmerte, während er im Krieg sein würde. Seine Mutter hielt sich wieder einmal in einer Heilanstalt auf, und seine Schwestern waren längst ausgezogen und hatten Männer geheiratet, die sie nicht einmal ernähren konnten. Er ertrug die Vorstellung nicht, seine Rosen hier oben jämmerlich verdorren zu lassen. Wenn, dann musste das Ende schnell und gnädig sein.
    Wilhelm Stein öffnete den Kanister. Der Geruch des Benzins erfüllte sofort die Luft. Über dem Ausguss flimmerte es.
    Alle Rosen sahen ihn an. Er spürte, wie sie ihre Sinne anstrengten, diese geheimen, nicht zu ergründenden Sinne der Pflanzen. Vielleicht hätte er nachts kommen sollen, wenn sie schliefen.
    Er versuchte den Kanister in die Höhe zu wuchten, aber es wollte ihm nicht recht gelingen. Also nahm er einen Messbecher zu Hilfe, mit dem er sonst Dünger und Pflanzenschutzmittel abmaß. Er füllte das Blechgefäß und schüttete den Kraftstoff mit Schwung über das Beet. Dann den nächsten, bis jede Pflanze in diesem Haus benetzt und der Kanister zur Hälfte geleert war.
    Die Rosen taten so, als sei nichts geschehen. Sie zuckten nicht, sie krümmten sich nicht. Stolz standen sie in dichten Reihen, wie Soldaten, darauf gefasst, bis zum Ende zu kämpfen. Ihre Waffe war ihre Schönheit. Ihr Duft vermischte sich mit dem des Benzins, erinnerte jetzt an billiges Parfüm.
    Wilhelm hinkte durch die Verbindungstür. Im vorderen Haus legte er den Messbecher zur Seite. Der Kanister war nun leicht genug, um ihn über die Beete zu heben. Nur mit dem Verspritzen bis in die hinteren Reihen klappte es nicht so gut

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