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Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Titel: Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Karamell, reife Aprikosen, süffiger Wein. Unwiderstehlich. Heute gingen sie aufs Ganze. Ließen alle Zurückhaltung fallen, geizten nicht mit ihren Reizen.
    In der Mitte des Glashauses hielt er inne. Betrachtete das Meer aus Rosen. Fast alle hatten ihre Blüten in seine Richtung gedreht. Es war, als blicke ihm ein Harem aus tausend wunderschönen Frauen entgegen, nach Typen, Rassen sortiert, und doch jede für sich ein Individuum. Ihr Duft mochte sich vermischen, doch wenn man sie ansah, war jede von ihnen unzweifelhaft ein eigenes Wesen.
    Seit dreiundzwanzig Jahren züchtete er sie hier an diesem Ort. Als sein Großvater, der ebenfalls Gärtner gewesen war, in den Ersten Weltkrieg eingezogen wurde und kurz darauf fiel, standen die alten Gewächshäuser leer. Wilhelms Mutter wollte sie niederreißen, konnte jedoch nicht genügend Mut zu diesem Schritt aufbringen. Der Großvater war ein autoritärer Mann gewesen, hatte den Haushalt beherrscht, und selbst nach seinem Tod ließ sich nicht so leicht zerstören, was ihm einmal gehört hatte. Wilhelm, der damals zwanzig Lenze zählte, hatte einige Wochen an der Westfront gekämpft und dort eine schwere Beinverletzung erlitten. Lange vor Kriegsende schickte man den jungen Invaliden nach Hause. Dort fand er nicht viel, was ihm Trost gegeben oder eine Zukunft versprochen hätte. Sein Großvater war tot, sein Vater noch im Krieg, seine Mutter und seine Schwestern in einem Zustand des Schocks, seine Aussichten auf einen einträglichen Broterwerb schlecht.
    Zuerst hasste er die beiden Glashäuser. Mit ihrem trostlosen Inneren, den toten, verdorrten Pflanzen, schienen sie ihm die verzweifelte Situation nur noch zu unterstreichen, in der er sich befand. Doch im Laufe untätig verschwendeter Monate kam er der Anlage allmählich näher. Sein Bein war kaputt, steif, nicht mehr zu retten, doch aus diesen Häusern ließ sich etwas machen. In der vordersten Ecke begann er einige Rosen zu pflanzen und weitete das Beet kontinuierlich nach hinten aus.
    In späteren Jahren kam es mehrmals vor, dass ihn von den wenigen Menschen, mit denen er Kontakt hatte, jemand fragte: „Warum ausgerechnet Rosen?“ Dann antwortete er: „Weil keine andere Blume so himmlisch duftet.“ Den wahren Grund behielt er für sich. Rosen waren die Lieblingsblumen seiner Mutter, und indem er Rosen züchtete, wollte er wieder ein Lächeln auf ihr finsteres Gesicht zwingen. Der Krieg hatte ihren einzigen Sohn als Krüppel ausgespuckt und hielt ihren Mann damals noch fest umklammert. Falls Wilhelms Vater fiel, brauchte ihre Seele eine stabile Stütze. Wilhelm bildete sich ein, die Rosen könnten diese Aufgabe übernehmen, zusammen mit ihm, ihrem Sohn. Außerdem: Wenn schon Gärtnerblut in seinen Adern floss (man hatte Wilhelm oft gesagt, er ähnle seinem Großvater in vielerlei Hinsicht), konnte er damit vielleicht sich und seine Mutter ernähren.
    Sie betrat das Gewächshaus nur selten, schien sich darin nicht wohlzufühlen, doch wenn er ihr einige Rosen brachte, tat sie ihm den Gefallen und lächelte ein wenig. Schließlich war der Krieg verloren, und sein Vater kehrte nur leicht verwundet daraus zurück. Doch ein harmonisches Familienleben wollte sich nicht einstellen. Wilhelms Vater war launisch und unzufrieden, billigte nicht, dass sein Sohn so etwas Weibisches, Verweichlichtes tat wie Rosen zu züchten, und hielt ihm sogar vor, er habe sich absichtlich verwunden lassen, um von der Front in den sicheren heimatlichen Schwarzwald zu fliehen. Nach drei Jahren fuhr sein Vater zu einem Treffen alter Kriegskameraden nach Karlsruhe. Dort blieb er nicht eine Nacht wie geplant, sondern fünf Nächte. Von da an reiste er nach Karlsruhe, wann immer es ihm möglich war. Die Mutter wusste längst, was passiert war, ehe Wilhelm und seine Schwestern etwas ahnten. Ihr Vater hatte eine Geliebte und wollte sie heiraten.
    Wilhelms Mutter wehrte sich nicht lange. Sie willigte sofort in die Scheidung ein und verbrachte in den folgenden Jahren immer wieder Monate in Nervenheilanstalten. Wann immer er seine Mutter mit einem Strauß Rosen besuchen kam, verbat man ihm, die Blumen mit zu ihr zu nehmen. Das Problem waren die Stacheln. Andere Blumen hätte man akzeptiert, doch wie sollte er ihr andere Blumen schenken, wenn sie Rosen liebte?
    Nach zehn Jahren des Züchtens konnte Wilhelm erste Erfolge verzeichnen. Unter anderem hatte er eine nahezu stachelfreie Sorte entwickelt, doch die schwachköpfige Krankenschwester ließ ihn auch

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