Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die neuen Leiden des jungen W

Die neuen Leiden des jungen W

Titel: Die neuen Leiden des jungen W Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urlich Plenzdorf
Vom Netzwerk:
Zimmer. Im Bett lag die Frau. Neben dem Bett stand so ein Campingbett, in dem hatte er wohl kampiert. Die Frau gefiel mir sofort. Sie hatte irgendwas von Charlie. Ich wußte nicht, was. Wahrscheinlich war es die Art, einen immerzu anzusehen, immerzu die Scheinwerfer auf einen zu halten. Ich konnte mir sofort vorstellen, wie wir zu dritt gelebt hätten. Wir hätten ein breiteres Bett angeschafft, und ich hätte auf dem alten oder von mir aus auf der Campingliege auf dem Korridor gepennt. Ich hätte morgens die Schrippen geholt und Kaffee gekocht, und wir hätten zu dritt an ihrem Bett gefrühstückt. Und abends hätte ich sie beide in die »Große Melodie« geschleppt oder auch mal sie allein, und wir hätten geflirtet, natürlich dezent, wie unter Kumpels.
    Ich wurde denn auch sofort charmant: Pardon, Madame. Bloß der Heizungsmonteur. Gleich fertig. — In dem Stil.
    Ich machte mich über den Heizungskörper her. Ich morste mit dem Hammer auf den Röhren und horchte auf das Echo, wie das diese Heizungskerle so draufhaben. Dabei beäugte ich natürlich das ganze Zimmer. Viel war da nicht. Eine Leiterwand mit Büchern. Ein Fernseher, vorletztes Modell. Nicht ein einziges Bild an den Wänden. Die Frau bot mir zu rauchen an.
    Ich sagte: Nee, danke. Rauchen ist ein Haupthindernis der Kommunikation.
    Ich machte so auf gebildeter junger Facharbeiter. Dann fragte ich diesen Vater: Sie sind wohl kein großer Bilderfreund?
    Er verstand nichts.
    Ich weiter: Na, die Wände. Tabula rasa. Unsereins kommt rum. Bilder haben sie überall, so’ne und solche, aber Sie? — Dafür haben sie andere schöne Sachen.
    Die Frau lächelte. Sie hatte sofort verstanden. Es war vielleicht auch nicht schwer. Wir sahen uns eine Sekunde an. Sie war, glaubte ich, das einzige in dem Zimmer, was mich nicht tötete. Alles andere tötete mich, vor allem die kahlen Wände. Ich kann es mir nicht anders erklären, daß ich plötzlich wie ein Blöder anfing zu schwafeln: Aber schon richtig. Ich sage immer, wenn schon Bilder, dann selber gemalte — und die hängt man sich feinerweise natürlich nicht an die eigenen Wände. Mal ’ne Frage: Haben Sie Kinder? Tip von mir: Kinder können malen, daß man kaputtgeht. Das kann man sich jederzeit an die Wand hängen, ohne rot zu werden...
    Ich weiß nicht, was ich sonst noch für ein blödsinniges Zeug zusammenredete. Ich glaube, ich hörte erst auf zu reden, als ich wieder auf der Treppe stand, die Tür zu war und ich feststellte, daß ich kein Wort gesagt hatte, wer ich war und das. Aber ich brachte es einfach nicht fertig, noch mal zu klingeln und alles zu sagen. Ich weiß nicht, ob das einer versteht, Leute.
    Anschließend kroch ich wieder in meine Laube, wie immer. Ich wollte Musik machen und das und machte es auch, bloß, irgendwie popte das nicht. Ich kannte mich damals schon selbst genug, um zu kapieren, daß in dem Fall irgendwas nicht stimmte mit mir. Ich analysierte mich kurz und stellte fest, daß ich sofort damit anfangen wollte, meine Spritze zu bauen. Mein NFG. Ich wußte zwar noch nicht wie. Ich wußte nur, daß sie völlig anders aussehen mußte als die von Addi. Ich wußte zwar, daß es nicht einfach sein würde ohne richtiges Werkzeug und das. Aber es war nie meine Art, vor solchen Schwierigkeiten zurückzuschrecken. Klar war auch, daß die Sache völlig im geheimen stattzufinden hatte. Und dann, wenn sie funktionierte, meine Spritze, wollte ich lässig wie ein Lord bei der Truppe auf kreuzen. Ich weiß nicht, ob mich einer begreift, Leute. Jedenfalls fing ich Idiot noch am selben Tag an, die ganze olle verlassene Kolonie nach brauchbaren Gegenständen abzusuchen. Ich weiß nicht, ob sich einer vorstellen kann, was in so einer Kolonie alles drinsteckt. Ich kann nur sagen, alles, im Ernst, bloß nicht, was ich brauchte. Ich schleppte trotzdem alles ran, was irgendwie brauchbar aussah. Erst mal Material haben, dachte ich. Das war der erste Stein zu meinem Grab, Leute. Der erste Nagel zu meinem Sarg.

    »Ich könnte sagen, daß wir ihn ziemlich schnell wieder zurückgeholt haben. Aber das war mehr auf Zarembas Initiative. Im Prinzip war es da schon zu spät. Edgar hatte zu der Zeit schon angefangen, an seinem NFG zu bauen. Zaremba wußte eben auch nicht alles. Wir stöberten ihn in seiner Laube auf. Aber davon, daß er an einer Spritze baute, war nichts zu sehen. Und auf die Idee, in die Küche zu sehen, sind wir leider nicht gekommen.«

    Das mit der Küche hätte euch die Bohne was genutzt, die

Weitere Kostenlose Bücher