Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
Entdeckung, dass zwei Menschen durch das Verlangen etwas schaffen können, was mächtiger ist als alles, was jeder für sich allein schaffen kann. Ich glaube, dieses Wissen veränderte mich und bewirkte, dass ich mich menschlicher fühlte. Ich begriff allmählich, dass ich, indem ich Sophie gehörte, ebenso auch allen anderen gehörte. Mein wahrer Platz in der Welt war irgendwo jenseits meines eigenen Ichs, und wenn dieser Platz in mir selbst war, so war er doch unbestimmbar. Dies war das winzige Loch zwischen Selbst und Nichtselbst, und zum ersten Mal in meinem Leben sah ich dieses Nirgendwo als das Zentrum der Welt.
Ich hatte meinen dreißigsten Geburtstag. Damals kannte ich Sophie seit etwa drei Monaten und sie bestand darauf, ihn zu feiern. Ich zögerte zuerst, denn ich hatte mir nie viel aus Geburtstagen gemacht, aber Sophies Gefühl für besondere Anlässe überzeugte mich zuletzt. Sie kaufte mir eine teure illustrierte Ausgabe von Moby Dick , führte mich zum Abendessen in einem guten Restaurant aus und besuchte dann mit mir eine Vorstellung von Boris Godunow in der Met. Dieses eine Mal ließ ich mich treiben, ich versuchte nicht, mein Glück zu hinterfragen, versuchte nicht, einen kühlen Kopf zu behalten oder meine Gefühle auszuklammern. Vielleicht begann ich einen neuen Mut in Sophie zu spüren; vielleicht gab sie mir zu verstehen, dass sie selbst einen Entschluss gefasst hatte, dass es zu spät für jeden von uns beiden war, sich zurückzuziehen. Was immer es war, das war der Abend, an dem sich alles änderte, an dem es keine Frage mehr gab, was wir tun würden. Wir kehrten um halb zwölf in ihre Wohnung zurück, Sophie bezahlte den schläfrigen Babysitter, und dann gingen wir auf Zehenspitzen in Bens Zimmer und standen eine Weile da und betrachteten ihn, wie er in seinem Gitterbett schlief. Ich erinnere mich deutlich, dass keiner von uns etwas sagte und dass das einzige Geräusch, das ich hörte, das leise Gurgeln von Bens Atem war. Wir lehnten uns über das Gitter und studierten die Form seines kleinen Körpers – er lag auf dem Bauch, reckte den Po in die Höhe und hatte die Beine unter sich eingezogen und zwei oder drei Finger in den Mund gesteckt. Wir schienen lange so zu stehen, aber es waren wahrscheinlich nicht mehr als ein oder zwei Minuten. Dann richteten wir uns plötzlich auf, wandten uns einander zu und küssten uns. Es ist schwer für mich zu sagen, was danach geschah. So etwas hat wenig mit Worten zu tun, so wenig, dass es sinnlos ist zu versuchen, es auszudrücken. Ich würde sagen, dass wir ineinander stürzten, dass wir so schnell und so weit stürzten, dass uns nichts aufzufangen vermochte. Wieder verfalle ich in eine Metapher. Aber das ist wahrscheinlich ohne Bedeutung. Denn ob ich darüber sprechen kann oder nicht, ändert nichts an der Wahrheit dessen, was geschah. Tatsache ist, dass es nie einen solchen Kuss gab, und ich zweifle daran, dass es in meinem ganzen Leben jemals wieder einen solchen Kuss geben kann.
Viertes Kapitel
I ch verbrachte diese Nacht mit Sophie, und von da an war es mir unmöglich, sie zu verlassen. Ich ging tagsüber in meine eigene Wohnung, um zu arbeiten, aber jeden Abend kehrte ich zu Sophie zurück. Ich wurde ein Teil ihres Haushalts – kaufte für das Abendessen ein, wechselte Bens Windeln, trug den Müll hinaus – und lebte enger mit einem anderen Menschen zusammen als je zuvor. Die Monate vergingen, und zu meiner Verwunderung entdeckte ich, dass ich eine Gabe für diese Art von Leben hatte. Ich war geboren worden, um mit Sophie zusammen zu sein, und nach und nach konnte ich fühlen, wie ich stärker wurde, wie sie aus mir einen besseren Menschen machte. Es war seltsam, wie Fanshawe uns zusammengebracht hatte. Wenn er nicht verschwunden wäre, würde nichts von all dem geschehen sein. Ich stand in seiner Schuld, hatte aber keine Gelegenheit, ihm etwas zurückzugeben, außer dass ich für seine Arbeit tat, was ich konnte.
Mein Artikel wurde veröffentlicht und schien die gewünschte Wirkung zu haben. Stuart Green rief mich an, um mir zu sagen, dass der Artikel ein «großer Auftrieb» sei – was, wie ich annahm, bedeuten sollte, dass er sich nun sicherer fühlte, das Buch angenommen zu haben. Bei all dem Interesse, das der Artikel weckte, schien Fanshawe kein so großes Risiko mehr zu sein. Dann kam Niemalsland heraus, und die Besprechungen waren einhellig gut, manche sogar ausgezeichnet. Es war alles, was man sich erhoffen konnte, das Märchen, von
Weitere Kostenlose Bücher