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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Fanshawe nach Frankreich zurückgekehrt war, der abwegige Gedanke, dass er an demselben Ort zum zweiten Mal Zuflucht gefunden hatte), sie verflüchtigten sich, als ich ankam. Das Haus war leer; es gab kein Lebenszeichen darin. Am zweiten Tag, als ich die Räume im oberen Stockwerk untersuchte, stieß ich auf ein kurzes Gedicht, das Fanshawe an die Wand geschrieben hatte – aber ich kannte dieses Gedicht schon. Darunter stand ein Datum: 25. August 1972. Er war nie zurückgekommen. Ich kam mir töricht vor, weil ich daran gedacht hatte.
    Da ich nichts Besseres zu tun hatte, brachte ich mehrere Tage damit zu, mit den Leuten in der Gegend zu sprechen: mit den Bauern in der Nachbarschaft, den Dorfbewohnern, den Leuten aus kleinen Städten in der Umgebung. Ich stellte mich vor, indem ich ein Foto von Fanshawe zeigte und behauptete, sein Bruder zu sein, aber ich fühlte mich mehr wie ein erledigter Privatdetektiv, der sich an Strohhalme klammerte. Manche Leute erinnerten sich an ihn, andere nicht, wieder andere waren nicht sicher. Es spielte keine Rolle. Ich fand den südlichen Akzent (mit dem gerollten «r» und den nasalierten Endungen) unergründlich und verstand kaum ein Wort. Von allen Menschen, die ich traf, hatte nur einer seit seiner Abreise von Fanshawe gehört. Das war sein nächster Nachbar, ein Pächter, der ungefähr anderthalb Kilometer weiter die Straße hinunter lebte. Er war ein sonderbarer kleiner Mann von etwa vierzig Jahren, schmutziger als irgendjemand, den ich bisher gesehen hatte. Sein Haus war ein feuchtes, einstürzendes Gemäuer aus dem siebzehnten Jahrhundert, und er schien dort ganz allein zu wohnen. Sein Trüffelhund und sein Jagdgewehr waren seine einzigen Gefährten. Er war offensichtlich stolz darauf, Fanshawes Freund gewesen zu sein, und um zu beweisen, wie vertraut sie miteinander gewesen waren, zeigte er mir einen weißen Cowboyhut, den ihm Fanshawe nach seiner Rückkehr nach Amerika geschickt hatte. Es gab keinen Grund, seine Geschichte nicht zu glauben. Der Hut lag noch in seiner Originalschachtel und war offensichtlich nie getragen worden. Der Mann erklärte, dass er ihn für den richtigen Augenblick aufhebe, und dann hielt er mir eine politische Rede, der ich nur mit Mühe folgen konnte. Die Revolution werde kommen, sagte er, und wenn es so weit sei, wolle er sich ein weißes Pferd und ein Maschinengewehr kaufen, seinen Hut aufsetzen und die Hauptstraße der Stadt entlangreiten und alle Geschäftsleute umlegen, die während des Krieges mit den Deutschen kollaboriert hätten. Wie in Amerika, fügte er hinzu. Als ich ihn fragte, was er damit meine, hielt er mir einen weitschweifigen, irrwitzigen Vortrag über Cowboys und Indianer. Aber das sei vor langer Zeit gewesen, sagte ich und versuchte, ihn zu unterbrechen. Nein, nein, beharrte er, es gehe noch heute so zu. Wusste ich denn nichts von den Schießereien in der Fifth Avenue? Hatte ich nichts von den Apachen gehört? Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu streiten. Um meine Unwissenheit zu rechtfertigen, sagte ich, dass ich in einer anderen Gegend wohne.

    Ich blieb noch einige Tage im Haus und nahm mir vor, nichts zu tun, solange ich konnte, und mich auszuruhen. Ich war erschöpft, und ich brauchte eine Gelegenheit, mich zu sammeln, bevor ich nach Paris zurückkehrte. Ein oder zwei Tage vergingen. Ich wanderte über die Felder, streifte durch die Wälder, saß draußen in der Sonne und las französische Übersetzungen von amerikanischen Detektivromanen. Es hätte die vollkommene Erholung sein sollen: mich inmitten von nirgendwo verkriechen, meinen Geist frei schweifen lassen. Aber nichts half wirklich. Das Haus wollte mich nicht aufnehmen, und am dritten Tag hatte ich das Gefühl, dass ich nicht mehr allein war, dass ich in diesem Haus nie allein sein konnte. Fanshawe war da, und sosehr ich mir auch Mühe gab, nicht an ihn zu denken: ich konnte ihm nicht entkommen. Das war nicht vorgesehen und ärgerte mich. Nun, da ich aufgehört hatte, ihn zu suchen, war er mir gegenwärtiger als je zuvor. Der ganze Prozess war umgedreht worden. Nach all den Monaten, in denen ich versucht hatte, ihn zu finden, hatte ich das Gefühl, derjenige zu sein, der gefunden worden war. Anstatt nach Fanshawe zu suchen, war ich tatsächlich vor ihm davongelaufen. Die Arbeit, die ich mir ausgedacht hatte – das falsche Buch, die endlosen Umwege –, war nichts weiter als ein Versuch gewesen, ihn abzuwehren, eine List, um ihn mir so fern wie möglich zu halten.

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