Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
Denn wenn ich mich davon überzeugen konnte, dass ich nach ihm suchte, folgte daraus notwendigerweise, dass er anderswo war – irgendwo jenseits von mir, jenseits der Grenzen meines Lebens. Aber ich hatte mich geirrt. Fanshawe war genau dort, wo ich war, und er war von Anfang an dort gewesen. Von dem Augenblick an, in dem sein Brief angekommen war, hatte ich mich bemüht, ihn mir vorzustellen, ihn zu sehen, wie er gewesen sein mochte – aber mein Geist hatte immer nur eine Leere heraufbeschworen. Bestenfalls gab es ein einziges armseliges Bild: die Tür eines verschlossenen Zimmers. Darauf lief es hinaus: Fanshawe allein in diesem Zimmer, zu einer mythischen Einsamkeit verdammt – vielleicht lebend, vielleicht atmend, Gott weiß was träumend. Dieses Zimmer, entdeckte ich nun, befand sich in meinem Schädel.
Seltsame Dinge erlebte ich danach. Ich kehrte nach Paris zurück, aber sobald ich dort war, merkte ich, dass ich nichts zu tun hatte. Ich wollte keinen der Menschen mehr aufsuchen, die ich zuvor gesehen hatte, und ich hatte nicht den Mut, nach New York zurückzukehren. Ich wurde träge, ein Ding, das sich nicht mehr bewegen konnte, und nach und nach verlor ich mich selbst aus den Augen. Wenn es mir möglich ist, über diese Phase überhaupt etwas zu sagen, so nur deshalb, weil ich dokumentarische Beweise habe, die mir helfen. Die Visumstempel in meinem Pass, zum Beispiel, mein Flugticket, meine Hotelrechnung und so weiter. Daraus kann ich ersehen, dass ich über einen Monat in Paris blieb. Aber das ist etwas ganz anderes als sich erinnern, und trotz allem, was ich weiß, bin ich noch immer nicht in der Lage, mich zu erinnern. Ich sehe einiges, was geschah, ich sehe Bilder von mir selbst an verschiedenen Orten, aber nur von weitem, so als beobachtete ich jemand anderen. Nichts fühlt sich an wie Erinnerung, die immer im Inneren verankert ist; es ist alles außerhalb, jenseits von allem, was ich fühlen oder berühren kann, jenseits von allem, was etwas mit mir zu tun hat. Ich habe einen Monat meines Lebens verloren, und selbst jetzt noch ist das etwas, was zu gestehen mir schwerfällt, etwas, was mich mit Scham erfüllt.
Ein Monat ist eine lange Zeit, mehr als genug Zeit für einen Mann, um auseinanderzufallen. Diese Tage kommen in Fragmenten zu mir zurück, wenn sie überhaupt kommen, in Stücken, die sich nicht zusammensetzen lassen. Ich sehe mich, wie ich eines Nachts auf der Straße betrunken hinstürze, aufstehe, auf einen Laternenpfahl zutaumle und mich über meinen Schuhen erbreche. Ich sehe mich in einem Kino sitzen, die Lichter sind an, ich schaue zu, wie um mich herum die Leute in Reihen hinausgehen, und ich bin unfähig, mich an den Film zu erinnern, der gerade gezeigt worden ist. Ich sehe mich abends durch die Rue Saint-Denis streifen und Prostituierte ansprechen, mit denen ich schlafe, mein Kopf brennt von dem Gedanken an Körper, ein endloses Durcheinander von nackten Brüsten, nackten Schenkeln, nackten Gesäßbacken. Ich sehe, wie mein Schwanz gelutscht wird, ich sehe mich auf einem Bett mit zwei Mädchen, die sich küssen, ich sehe eine riesenhafte schwarze Frau, die ihre Beine über einem Bidet spreizt und sich die Fotze wäscht. Ich will nicht versuchen zu sagen, dass diese Dinge nicht wirklich sind, dass sie nicht passiert sind. Ich kann sie nur nicht erklären. Ich fickte mir das Hirn aus dem Schädel, ich soff mich in eine andere Welt. Aber wenn ich den Zweck verfolgte, Fanshawe auszulöschen, war meine Orgie ein Erfolg. Er war fort – und ich mit ihm.
Das Ende ist mir jedoch klar, ich habe es nicht vergessen, und ich bin glücklich, so viel behalten zu haben. Die ganze Geschichte läuft auf das hinaus, was am Ende geschah, und ohne dieses Ende in mir könnte ich dieses Buch nicht begonnen haben. Dasselbe gilt für die beiden vorhergehenden Bücher, Stadt aus Glas und Schlagschatten . Diese drei Geschichten sind letzten Endes die gleiche Geschichte, aber jede steht für ein anderes Stadium, in dem mir bewusst wurde, um was es geht. Ich behaupte nicht, irgendwelche Probleme gelöst zu haben. Ich will nur sagen, dass eine Zeit kam, in der es mich nicht mehr erschreckte, zu betrachten, was geschehen war. Wenn Worte folgten, so nur deshalb, weil ich keine andere Wahl hatte, als sie zu akzeptieren, sie auf mich zu nehmen und zu gehen, wohin sie wollten, dass ich ging. Aber das macht die Worte nicht notwendigerweise wichtig. Ich habe nun lange darum gekämpft, mich von etwas zu
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