Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
kann, schreibt Black. Ein Blick durch den Feldstecher bestätigt es. Die Linsen sind jedoch nicht stark genug, um das Geschriebene lesbar zu vergrößern, und auch wenn sie es wären, zweifelt Blue daran, dass er die Schrift verkehrt herum lesen könnte. Alles, was er mit Sicherheit sagen kann, ist daher, dass Black mit einem roten Füllfederhalter in einem Notizbuch schreibt. Blue holt sein eigenes Notizbuch hervor und trägt ein: 3. Febr., 3 Uhr nachm. Black schreibt an seinem Tisch.
Ab und zu unterbricht Black seine Arbeit und starrt aus dem Fenster. Einmal denkt Blue, dass er ihn direkt ansieht, und er duckt sich zur Seite. Aber dann erkennt er, dass es nur ein leeres Starren ist, eher ein Nachdenken als ein Sehen, ein Blick, der die Dinge unsichtbar macht, sie nicht einlässt. Black steht hin und wieder von seinem Stuhl auf und verschwindet an einer nicht einsehbaren Stelle im Raum, in einer Ecke, vermutet Blue, oder vielleicht im Badezimmer, aber er bleibt nie sehr lange weg und kehrt immer gleich zum Schreibtisch zurück. Das geht mehrere Stunden so weiter, und Blue wird trotz seiner Bemühungen nicht schlauer. Um sechs Uhr schreibt er den zweiten Satz in sein Notizbuch: Das geht mehrere Stunden so weiter.
Blue ist nicht so sehr gelangweilt, er fühlt sich vielmehr enttäuscht. Da er nicht lesen kann, was Black geschrieben hat, ist bisher alles völlig bedeutungslos. Vielleicht, denkt Blue, ist er ein Verrückter, der plant, die Welt in die Luft zu sprengen. Vielleicht hat dieses Schreiben etwas mit seiner geheimen Formel zu tun. Aber Blue ist schon im nächsten Moment peinlich berührt von einer so kindischen Vorstellung. Es ist zu früh, etwas zu wissen, sagt er sich, und fürs Erste beschließt er, sich kein Urteil zu bilden.
Er denkt an dies und das, und schließlich kommt ihm die zukünftige Mrs. Blue in den Sinn. Sie hatten vor, heute Abend auszugehen, erinnert er sich, und wenn White heute nicht in seinem Büro erschienen wäre und es diesen neuen Fall nicht gäbe, würde er jetzt mit ihr zusammen sein. Zuerst das chinesische Restaurant in der 39th Street, wo sie mit den Essstäbchen gekämpft und sich unter dem Tisch an den Händen gehalten hätten, und dann das Doppelprogramm im Paramount-Kino. Einen kurzen Moment lang sieht er im Geiste ein überraschend klares Bild ihres Gesichts vor sich (lachend, mit gesenkten Augen in gespielter Verlegenheit), und es wird ihm bewusst, dass er viel lieber bei ihr sein als Gott weiß wie lange in diesem Zimmer sitzen würde. Er denkt daran, sie für eine kleine Plauderei anzurufen, zögert und entscheidet sich dagegen. Er will nicht schwach erscheinen. Wenn sie wüsste, wie sehr er sie braucht, würde er seinen Vorteil zu verlieren beginnen, und das wäre nicht gut. Der Mann muss immer der Stärkere sein.
Black hat nun seinen Tisch frei geräumt und das Schreibmaterial durch das Abendessen ersetzt. Er sitzt da, kaut langsam und starrt abwesend aus dem Fenster. Blue spürt, dass er hungrig ist, und er sucht im Küchenschrank nach etwas Essbarem. Er entschließt sich für Schmorfleisch aus der Büchse und tunkt die Soße mit einer Scheibe Weißbrot auf. Nach dem Essen wünscht er sich, dass Black ausgehen möge, und er schöpft Hoffnung, als er eine plötzliche Unruhe in seinem Zimmer bemerkt. Aber es wird nichts daraus. Eine Viertelstunde später sitzt Black wieder an seinem Schreibtisch, und nun liest er ein Buch. Eine Lampe brennt neben ihm, und Blue erkennt sein Gesicht deutlicher als zuvor. Er schätzt, dass Black so alt ist wie er, auf ein oder zwei Jahre genau. Das heißt irgendwo in den späten Zwanzigern oder frühen Dreißigern. Er findet Blacks Gesicht recht angenehm, nichts unterscheidet es von tausend anderen Gesichtern, die man täglich sieht. Das ist eine Enttäuschung für Blue, denn er hofft insgeheim noch zu entdecken, dass Black ein Verrückter ist. Blue blickt durch den Feldstecher und entziffert den Titel des Buches, das Black liest. Walden von Henry David Thoreau. Blue hat noch nie davon gehört und schreibt es sorgfältig in sein Notizbuch.
So geht es den Rest des Abends, Black liest, und Blue beobachtet ihn beim Lesen. Mit der Zeit fühlt sich Blue mehr und mehr entmutigt. Er ist ein solches Herumsitzen nicht gewohnt, und nun, da die Dunkelheit über ihn hereinbricht, fängt es an, ihm auf die Nerven zu gehen. Er ist gern auf den Beinen, will sich von einem Ort zum anderen bewegen, etwas tun. Ich bin nicht der Sherlock-Holmes-Typ,
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