Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
Statistiken.
Wahrscheinlich nicht, poltert Blue weiter. Aber denken Sie an die Aufregung! Das Leben ist mehr als nur lange leben, wissen Sie. Die Hälfte aller Männer in Amerika würde zehn Jahre ihres Ruhestands hergeben, wenn sie so leben könnte wie Sie. Fälle knacken, sich durchs Leben schlagen, Frauen verführen, gefährliche Ganoven mit Blei vollpumpen – mein Gott, dafür spricht einiges.
Das ist alles nur Schein, sagt Black. Wirkliche Detektivarbeit kann sehr langweilig sein.
Nun ja, jede Arbeit hat ihre Routine, fährt Blue fort. Aber in Ihrem Fall wissen Sie wenigstens, dass die ganze Arbeit schließlich zu etwas Ungewöhnlichem führt.
Manchmal ja, manchmal nein. Die meiste Zeit nicht. Nehmen wir den Fall, an dem ich jetzt arbeite. Ich bin schon über ein Jahr damit beschäftigt, und nichts könnte langweiliger sein. Mir ist so langweilig, dass ich manchmal glaube, ich verliere den Verstand.
Wie das?
Malen Sie sich das selbst aus. Meine Arbeit besteht darin, jemanden zu beobachten, niemand besonderen, soweit ich das beurteilen kann. Jede Woche muss ich einen Bericht über ihn einschicken. Nur das. Diesen Kerl beobachten und über ihn schreiben. Und das ist, verdammt noch mal, alles.
Was ist daran so schrecklich?
Er tut nichts, das ist es. Er sitzt nur den ganzen Tag in seinem Zimmer und schreibt. Das reicht aus, um einen verrückt zu machen.
Es könnte sein, dass er Sie an der Nase herumführt. Sie wissen schon, er will Sie einlullen, bevor er mit einem Mal etwas unternimmt.
Das habe ich zuerst auch gedacht. Aber jetzt bin ich sicher, dass nichts geschehen wird – niemals. Ich fühle es in den Knochen.
Zu dumm, sagt Blue voller Mitgefühl. Vielleicht sollten Sie den Fall aufgeben.
Ich denke daran. Ich sollte vielleicht einfach den ganzen Kram hinwerfen und etwas anderes tun. Eine andere Arbeit. Versicherungen verkaufen oder zum Zirkus gehen.
Ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm kommen könnte, sagt Blue und schüttelt den Kopf. Aber sagen Sie, warum beobachten Sie Ihren Mann jetzt nicht? Sollten Sie ihn nicht im Auge behalten?
Das ist es ja gerade, antwortet Black. Ich brauche mir gar keine Mühe mehr zu machen. Ich beobachte ihn nun schon so lange, dass ich ihn besser kenne als mich selbst. Ich brauche nur an ihn zu denken, und ich weiß, was er tut, ich weiß, wo er ist, ich weiß alles. Es ist so weit gekommen, dass ich ihn mit geschlossenen Augen beobachten kann.
Wissen Sie, wo er jetzt ist?
Zu Hause, wie gewöhnlich. Er sitzt in seinem Zimmer und schreibt.
Worüber schreibt er?
Ich bin nicht sicher, aber ich kann es mir ziemlich gut vorstellen. Ich denke, er schreibt über sich selbst. Die Geschichte seines Lebens. Das ist die einzig mögliche Antwort. Nichts anderes würde passen.
Warum dann das ganze Geheimnis?
Ich weiß nicht, sagt Black, und zum ersten Mal verrät seine Stimme eine Gefühlsregung und bleibt ein wenig an den Worten hängen.
Dann läuft alles auf eine Frage hinaus, nicht wahr?, sagt Blue. Er vergisst Snow und blickt Black gerade in die Augen. Weiß er, dass Sie ihn beobachten, oder weiß er es nicht?
Black wendet sich ab, außerstande, Blue anzusehen, und mit einer plötzlich zitternden Stimme sagt er: Natürlich weiß er es. Das ist doch der wesentliche Punkt, nicht wahr? Er muss es wissen, sonst hat alles keinen Sinn.
Warum?
Weil er mich braucht, sagt Black, immer noch mit abgewandtem Blick. Er braucht meine Augen, die ihn ansehen. Er braucht mich, um zu beweisen, dass er lebt.
Blue sieht eine Träne über Blacks Wangen rinnen, aber bevor er etwas sagen, bevor er seinen Vorteil nutzen kann, steht Black hastig auf und entschuldigt sich. Er müsse jemanden anrufen, sagt er. Blue wartet in seinem Sessel zehn oder fünfzehn Minuten, aber er weiß, dass er seine Zeit vergeudet. Black wird nicht zurückkommen. Das Gespräch ist beendet, und solange er auch sitzen bleibt, heute Abend wird nichts mehr geschehen.
Blue bezahlt die Drinks und kehrt nach Brooklyn zurück. Als er die Orange Street entlanggeht, schaut er zu Blacks Fenster hinauf und sieht, dass alles dunkel ist. Macht nichts, sagt Blue, er wird bald zurück sein. Wir sind noch nicht am Ende. Die Party beginnt erst. Warte, bis der Champagner aufgemacht wird, dann werden wir sehen, woran wir sind.
Wieder in seinem Zimmer, geht er auf und ab und versucht, seinen nächsten Schritt zu planen. Es scheint ihm, dass Black endlich einen Fehler gemacht hat, aber er ist nicht ganz sicher. Denn trotz
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