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Die Nirgendwojagd

Die Nirgendwojagd

Titel: Die Nirgendwojagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Seine Augen traten hervor. Ringsumher heulten die Amar in sinnloser Furcht. Die Krieger warfen ihre Bogen weg und flohen blindlings in den Nebel, und das Entsetzen schnüffelte hinter ihnen her - gleich einem Bawa-Rudel, das hinter einem davonhoppelnden Happa durch den Wald hetzte. Churr war der letzte, der unter diesem Grauen zerbrach, aber er brach, und er floh mit einem lauten Schrei der Schande und der Angst vor der Dämonin.
    Roha klammerte sich verzweifelt an der Erde fest, an ihrer aller Mutter … an der Bewahrerin ihres Mutterleibes, der einzigen Mutter, die sie kannte, zuckte und litt, trotzte der Angst jedoch, wie sie es durch viel Übung gelernt hatte, und vertrieb sie - vertrieb sie wie den Tumult ihres Verstandes während der Drogenträume, die einen größeren Teil ihres Lebens ausmachten. Sie wurde Zeuge, wie sich die Feuerhaarige in langsamen Kreisen um die eigene Achse drehte, leuchtend wie eine Tochter der Sonne, während sie Angst und Grauen verströmte. Dann verblaßte das Leuchten, der Glanz war verschwunden, und die Dämonin sank in die Arme des Brudermörders, der sie schließlich unter das lange Etwas außer Sicht brachte.
    Erschöpft von ihrer Qual, kalt vor Verzweiflung, weil der Bru-dertöter wieder dem Tod entgangen war, angewidert von ihrem Versagen und dem Versagen der Amar, stolperte sie hinter Churr her, zu gehetzt, um anzuhalten und sich auszuruhen, zu müde, um mehr zu tun, als einen Fuß vor den anderen zu setzen. Nach einem endlosen Tasten durch das Dunkel hielt sie an und stellte die Ohren auf. Irgendwo rechts von ihr rief jemand um Hilfe. Sie zögerte, wandte sich dann aber langsam in die Richtung, aus der die Rufe kamen.
    In seiner gedankenlosen Flucht war Churr in ein Sumpfloch gerannt. Da er seinen Bogen noch bei sich trug, war es ihm gelungen, das eine Ende über einen kleinen Felsvorsprung zu schieben. Sein ganzes Gewicht hätte er nicht getragen, doch so blieben zumindest seine Arme und Schultern über dem Schlamm. Als er Roha sah, schreckte er zusammen. Der Bogen rutschte über den Felsklumpen -
    Churr begann zu sinken. Hastig ergriff Roha den Bogen und versuchte den Krieger herauszuziehen, aber das überstieg ihre Kräfte - sein Gewicht war zu groß. Bereits erschöpft, verausgabte sie sich in dem Versuch, ihn zu befreien, so sehr, daß ihre Finger zitterten und sich zu öffnen drohten - zu öffnen, obwohl sie das nicht wollte. Sie starrte auf Churr hinunter, im Augenblick unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, dann stieß sie ihren Arm zwischen die Sehne und das Holz, hoffte, daß die Sehne fest genug in der Rille verspannt war, um sich nicht zu lösen. Sie fand Halt an dem Felsvorsprung, der Churrs Leben gerettet hatte, setzte die Füße kräftig dagegen, achtete nicht darauf, daß dicht daneben ein kleiner, struppiger Giftstrauch wuchs.
    Sie kauerte sich nieder, stemmte sich ab und sah Churr dann müde an.
    „Du mußt dich selbst herausziehen”, murmelte sie. „Ich kann dich nur halten.”
    Die Bogensehne schnitt schmerzhaft in ihr Fleisch, als sich Churr langsam aus dem würgenden Schlamm zog. Der Schmerz schien ewig anzudauern. Dann wälzte er sich auf festen Boden heraus. Zitternd lag er da, an allen Gliedmaßen zuckend, mit dem glitschigen Morast überzogen, und pumpte große Mengen der schwülen Nachtluft in sich hinein. Roha bemerkte erst jetzt, daß sie mit dem Fuß doch irgendwie in den Giftstrauch geraten sein mußte, und zog ihn hastig weg; ihre Haut war vom Knie abwärts mit großen Blasen übersät. Sie saß einfach nur da und starrte sie an, zu müde, mehr zu tun. Undeutlich hörte sie Churr fluchen, dann klatschte er mehrere Handvoll Schlamm aus dem Morasttümpel auf ihre Haut und rieb sie gleich darauf wieder mit dem weichen, grünen Gras ab, das über dem Schlamm wucherte. Er schmierte noch mehr Schlamm darauf. Diesmal ließ er ihn auf ihrer Haut kleben und setzte sich - noch immer am ganzen Körper zitternd
    - neben sie, atmete krampfhaft ein und mit lautem Schnauben wieder aus. Roha legte sich zurück, starrte in die wirbelnden Nebel mit ihrem schwachen Mambila-Leuchten hinauf und sah zu, wie sich Schwebende Geister, nicht größer als ihre Daumenspitze, die Körper wie Regen, auf Nachtinsekten und Motten mit großen Flügeln niedersinken ließen.
    Mit einem flüchtigen, nahezu feindseligen Blick auf Roha sprang Churr auf und pfiff einen Befehl, der alle noch lebenden Amar hierherrief. Nach mehreren Pfiffen und vereinzelten Antworten

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