Die Nirgendwojagd
kamen neun schwer mitgenommene Krieger aus dem Nebel gestolpert, erleichtert zu wissen, daß sie nicht allein in dieser Hölle waren. Roha lag ganz still, blickte forschend in ein Gesicht nach dem anderen und spürte trotz der dampfenden Hitze der Nacht eisige Kälte in sich. Sie waren geschlagen. Der Mut war aus ihnen gewichen. Sie konnten dieses Umherziehen in der unheimlichen Isolation von sich verschiebenden Nebelwänden nicht mehr ertragen. In ihrer Körperhaltung, in ihren Gesichtern, in ihren Augen las sie etwas anderes. Schuld. Sie luden ihr die Schuld auf für das, was sie fühlten. Sie stemmte sich in eine sitzende Stellung hoch und richtete ihren Blick auf den langsam trocknenden Schlamm, der auf ihr blasenüberzogenes Bein geschmiert war. Es gibt nichts, was ich tun kann, dachte sie.
Ein Mann wurde dazu bestimmt, Wache zu halten, die Geister am Zusammenschmelzen zu hindern, dann stampften die anderen Amar die Beißer aus den Wurzeln der vereinzelten Grasflecken, rollten sich zusammen und fielen in einen tiefen Schlaf. Roha saß da, betrachtete sie und spürte, wie die Kälte in ihr hochkroch, wie sie dafür sorgte, daß sie nach und nach erstarrte, je mehr Zeit verging. Trotz ihrer Erschöpfung konnte sie ihnen nicht in den Schlaf folgen. Meine Zeit ist abgelaufen, dachte sie. Die Schwebenden Geister schwärmten über die schlafenden Männer aus, bis Dahor eingriff, einen langen Stock durch sie hindurchschwenkte und sie wieder vertrieb. Roha schüttelte sich und schloß die Augen, rief sich absichtlich glücklichere Erinnerungen an früher vor Augen … Sie tollte mit Rihon zwischen den Bäumen umher, sie saß mit anderen Kindern zusammen und hörte zu, wie Gawer Hith die Erzähllieder sang, sie stopfte sich beim Karrams mit Nuggar-Fleisch voll … lachte und kicherte mit anderen Mädchen beim großen Festmahl, mit dem man das Herauskriechen der Mutter Erde aus dem Bauch Mambilas feierte … Sie dachte an die Festmahle, nachdem ein Waffenstillstand erklärt worden war und sich ein halbes Dutzend Stämme trafen, um zu prahlen und zu essen. In diesem Rückzug von den Schrecken der Gegenwart fand sie etwas von der Beruhigung, die sie brauchte, und wurde schließlich in den Schlaf davongetragen.
Als sie erwachte, waren Churr und die Krieger verschwunden, und die Sonne stand hoch im Osten. Sie setzte sich auf, rieb sich die Augen. Auf den zerdrückten Stellen, die die Krieger hinterlassen hatten, richteten sich soeben die ersten Grashalme langsam wieder auf.
Morgengeräusche wirbelten um sie her - ein Rascheln, Zirpen, Zischen und Quietschen, deren Gesamtheit das Fehlen der Amar-Stimmen nur noch deutlicher machte. Sie wußte, daß sie schließlich und endlich verlassen worden war, daß sie bereits Saka-wa war, obwohl die Serk sie noch nicht dazu erklärt hatte. Noch nicht, dachte sie. Wenn ich nur mit dem Wan reden könnte.
Der Wind blies stärker, wehte Gerüche von all den kleinen Tieren, die zwischen Büschen und Gras wühlten, an ihr vorbei, Düfte von zermalmten Blättern und warmen, nassen, grünen Dingen. Sie dachte an die kühle und trockene Luft ihrer vertrauten Wälder, an die Bäume und die herben Obstgerüche. Der Wind veränderte sich ein wenig, trug ihr den sauren, modrigen Geruch der Nebelländer zu. Sie keuchte, begann zu laufen und verfiel schließlich in einen gleichmäßigen Trab, der sie nach Hause führen sollte, so schnell ihre kleinen Füße sie tragen konnten.
Sie rannte den ganzen Tag, verzichtete darauf zu essen und hielt nur einmal kurz an, um etwas zu trinken - und auch das nur, weil ihr Körper ihr diesen Entschluß aufzwang. Als sich die Sonne in Gestalt eines grünlichen Phantoms auf dem westlichen Rand des Beckens niederließ, stolperte sie und fiel. Einen Moment lang blieb sie benommen liegen, dann stemmte sie sich hoch, sackte wieder nach vorn, zitterte, spürte ein Loch in ihrer Körpermitte, begriff, daß sie essen mußte, bevor sie weitergehen konnte. Sie hob den Kopf und blickte sich um, schnupperte in die Luft, hoffte auf eine vertraute Witterung.
Alles wirkte wie ausgewaschen, klein, dürr - und kahl, wenigstens die Büsche, die sie zu berühren wagte. Sie kam mühsam hoch und zwang sich weiterzugehen, suchte ständig nach etwas Eßbarem. Es war fast dunkel, als sie einen niederen, fast blattlosen Busch fand, der oben, in ihrem Wald, ein kleiner Baum gewesen wäre. Kaskaden von dunklen Trauben-Früchten hingen daran. Sie zerdrückte eine zwischen Daumen und
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