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Die Nirgendwojagd

Die Nirgendwojagd

Titel: Die Nirgendwojagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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gesehen?” fragte Roha unvermittelt.
    Die Nafa blickte sie ausdruckslos an, hob ihren Blick zum Himmel mit seiner Mambila-Netz-Zeichnung, runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf. „Ich vestehe nicht.”
    „Da war ein fallendes Etwas, das am Himmel brannte. Gestern nacht hat es sich im Nebelland eingenistet. Du hast es nicht gesehen?”
    „Nein.” Die Nafa rieb mit einem Daumen an ihren viel zu dik ken, viel zu weichen Lippen entlang. „Ich war drinnen. Beschäftigt.
    Erzähl mir davon.”
    „Ein großes Licht, das abstürzte. Ein brennender Stachel. Mit einem gewaltigen, furchtbaren Lärm, dem Schreien eines Dämons, der groß genug ist, die Welt zu fressen. Brennend. Brennend.” Roha verfiel in einen übersteigerten Zustand; sie hörte auf zu denken und sah, fühlte, sang nur, sah die Muster entstehen, Muster … Rihon kniete hinter ihr, umfaßte ihre Schultern. „Brennend”, flüsterte sie.
    Sie beruhigte sich, spuckte die Schaumflöckchen weg, die an ihren Lippen klebten. „Böse.”
    „Wie kannst du das wissen?” Die Stimme der Nafa war ruhig; ihre Blicke erforschten Rohas Gesicht. Roha hatte sie noch nie so verwirrt gesehen. Ihre langen, schmalen Hände zerknüllten den weichen, glänzenden blauen Stoff, den sie um ihren großen, dünnen Körper gewickelt trug. „Warte, bis du es siehst. Nicht …”
    „Es ist böse!” stieß Roha heraus, und die Heftigkeit ihrer Über zeugung vibrierte in diesem letzten Wort. „Böse”, wiederholte sie ruhiger. „Böse.”
    „Denk nach, Roha. Woher willst du das wissen, woher …” Die Stimme der Nafa verblaßte und war fern wie ein Summen in Rohas Ohren. Einen Moment lang hatten diese Worte keine Bedeutung mehr. Das bleiche, flache Gesicht schimmerte vor Roha; sie sah wellige Goldlinien aus dem Kopf der Nafa hervorkriechen und mit der zitternden Luft verschmelzen. Roha sog große Schlucke dieser schwülen Luft ein, schmeckte den süß-salzigen Beigeschmack von Blut darin, schmeckte den Tod darin. Die Frau auf der Mauer war ein blauer Schemen in ihren Augen. Etwas… Etwas … Was sagte sie da …? Warte … Sieh nach … Frag … Frag warum? Frage … was?
    Wenn es nicht … nicht böse ist … Nicht böse? „Nein!” Sie sprang auf, machte sich aus Rihons Umarmung frei. Sie wirbelte herum und rannte blindlings auf die Bäume zu, rannte, weil es ihr unmöglich war stillzustehen, rannte vor Fragen davon, die sie nicht stellen wollte. Rihon lief hinter ihr her; seine Besorgnis dehnte sich aus und hüllte sie ein, saugte den Schmerz weg, gab ihr Gewißheit und Zielbewußtheit zurück. Sie rannte, bis ihre Seiten vom Schmerz des At-mens brannten, und warf sich dann zitternd und erschöpft auf einen Grasflecken, ohne sich zuvor die Mühe zu machen, das Leben beiseite zu wischen, das zwischen den Wurzeln herumkrabbelte.
    „Roha, verdammt.” Rihon zerrte sie hoch und schlug nach den Saugern, die sich bereits an ihr festgeklebt hatten. Dann hielt er sie von sich weg und blickte sie starr an. Die Sauger rollten sich zusammen und fielen von ihr ab - tot, „Was …”
    Roha blickte an sich hinunter. Sie hob eine zitternde Hand und wischte damit über das Gesicht. „Der Traum-Saft”, murmelte sie. „In meinem Blut. Er tötet sie. Halt mich fest, Zwilling.”
    Sie schmiegte sich an ihn. Rihon war ihr Anker in der realen Welt.
    Er kühlte ihr Blut, brachte ihr Frieden. Selbst damals, als man ihr die Gebärmutter herausgerissen und er ihre Pein wie seine eigene gefühlt hatte, selbst damals war er bei ihr geblieben, hatte er ihr Kraft gegeben, als es bereits schien, als würde sie dahinschwinden, in die Erde zurückschmelzen.
    Als sie wieder ruhig war, löste sie sich von ihm, stieg den Berghang hinauf, stieg, bis sie hoch über den Bäumen war. Sie hielt an, blickte geistesabwesend umher, setzte sich auf einen Stein. Rihon ließ sich neben ihr nieder. Er nahm ihre Hand und hielt sie fest. Die Erde unter ihr war wieder fest.
    Sie blickte hinunter und konnte die Gartenlichtungen sehen, wo die Dorffrauen die Bäume weggebrannt hatten, um ihre Knollenbeete anlegen zu können. Frauen und Mädchen arbeiteten zwischen den Knollenranken, andere verscheuchten die Nuggar, die immer wieder die Zäune zu überwinden versuchten. Sie blickte finster drein. „Zu viele Nuggar.”
    „Das hast du gewußt.”
    Sie bewegte gereizt die Schultern. „Ich meine, der Niong will den Krieg mit den Rum-Fieyl. Er wird den Nuggar-Schwarm als Vorwand nehmen, das

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