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Die Nirgendwojagd

Die Nirgendwojagd

Titel: Die Nirgendwojagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Wut und Abscheu verzerrten sein Gesicht zu einer abstoßenden Fratze.
    Aleytys hob den Kopf ein wenig, schnüffelte in die Luft. Die Brise war jetzt stark, wehte Nebelstreifen dicht um sie her, reinigte die Luft vom drogengesättigten Rauch. Als Quale um das Heck des Transporters herumstreifte, legte sie den Kopf auf ihre Arme zurück, schloß die Augen und begann zu warten …
    Die Jagd
    5. Roha
    Roha kauerte in einer Ecke ihrer Hütte, rieb immer wieder an ihren Händen, schaffte es nicht, das Gefühl von Rihons Tod von ihrer Haut wegzubekommen. In der Nacht hatte sie sich von Zeit zu Zeit herumgeworfen, ihre Wut hinausgekreischt und über die Leibesmutter Erde, Schwester Nacht, den Dunklen Zwilling, Hunderte von Toden heraufbeschworen, damit für diesen einen Tod bezahlt werde. Jetzt gab es nur mehr Kälte, Hilflosigkeit und das Gefühl des Verlustes.
    Als der Morgen in die Stille der Hütte kroch, erstieg der Wan mit einem Becher Lochee und einer Schüssel Brei die Leiter. Er hockte sich neben Roha, stellte den Becher und die Schüssel neben seine Füße und schmiegte seine Hand unter ihr Kinn. Sie versuchte sich freizumachen, aber seine sanften, verdorrten Finger waren zu stark für sie - denn jetzt brach schlagartig die Müdigkeit der endlosen schrecklichen Nacht über sie herein. Zitternd und weinend preßte sie ihr Gesicht an seine Schulter und klammerte sich an ihn.
    Er streichelte ihren Rücken, hielt sie dann fest, bis der Aufruhr vorbei war. Als sie einen tiefen, bebenden Atemzug machte und zu zittern aufhörte, schob er sie von sich und lächelte in ihr feuchtes Gesicht hinunter. „Iß, Roha. Es gibt Dinge, welche du wirst tun müssen.”
    Sie schaute auf den abkühlenden Brei und den noch dampfenden Lochee hinunter und spürte, wie sich ihre Kehle wieder verengte. Sie schluckte, schluckte noch einmal, aber der Kloß war noch immer da.
    „Ich kann nicht.”
    Er hob den Becher und schloß ihre Finger darum, preßte sie mit seiner Hand fest gegen das Holzgefäß. Seine Haut war warm und trocken wie ein im Vorjahr gefallenes Blatt in der Sonne. Er half ihr, den Becher zu heben, hielt ihn an ihre Lippen, bis sie einen Schluck trank. Die Flüssigkeit wärmte ihren Mund. Die Wärme breitete sich aus. Sie trank mehr, schluckte den Lochee hinunter, bis der Becher leer war.
    Nachdem sie auch die Breischüssel geleert und abgestellt hatte, lächelte er sie an. „Lebe und sei, Roha.” Er wich ein wenig zurück und begann, an ihren Füßen zu reiben.
    Roha legte sich auf ihr Schlaflager zurück - die Müdigkeit, die ihr Kummer bis jetzt von ihr ferngehalten hatte, kroch über sie. Mit der Wärme in ihrem Bauch und der beruhigenden, verführerischen Massage an ihren Füßen konnte sie diesen Kummer endlich davontreiben lassen, als wäre er etwas von ihr Losgelöstes, etwas außerhalb von ihr, wie einer der Schwebenden Geister. Ein paar Minuten später war sie eingeschlafen.
    Es war später Nachmittag, als sie erwachte. Sie lag flach auf dem Leder ausgestreckt, als die Erinnerung ihren Kummer zurückbrachte, auch wenn Essen und Trinken die Schärfe daraus getilgt hatten. Doch er schien bereits in weite Ferne gerückt. Aber da war nichts Fernes an dem kalten Zorn, der sie erfüllte, sooft sie über seinen Tod nachdachte. Sie stieß sich auf die Füße hoch und ging steif zur niedrigen Tür, bückte sich hindurch und blieb einen Moment lang auf dem schmalen Plateau draußen stehen.
    Frauen brachten Holz für Rihons Totenfeuer. Ärgerlich kletterte Roha die Leiter hinunter und tauchte ins Unterholz hinein. Sie konnte es jetzt nicht ertragen, den Frauen zuzusehen. Sie wollte mit niemandem reden. Unruhig und ungeduldig rannte sie unter den Bäumen dahin, und Rihons Geist war neben ihr. Sie konnte ihn riechen, seine Schritte neben den ihren hören. Sie kletterte an den Luftwurzeln ihres Mutterleib-Baumes hoch, saß mit dem Rük-ken gegen den Stamm gepreßt da, aber selbst hier gab es keinen Frieden für sie. Unruhig zappelte sie herum und versuchte, aus diesem Baum, der sich von ihrem vergrabenen Mutterschoß genährt hatte, Kraft zu beziehen. Er war ihr zweites Ich; sie war an ihn gefesselt, hatte ihre Schmerzen hierher gebracht und ihre Freuden, und Rihon war stets bei ihr gewesen. Immer. Ohne ihn war der Baum kalt. Heute konnte sie darin keinen Pulsschlag fühlen. „Ich bin auch tot”, sagte sie und zuckte dann beim Klang ihrer Stimme zusammen. Sie fror plötzlich und kletterte an den Wurzeln hinunter. Die Arme

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