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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten
Autoren: Roberto Bolaño
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als eine der mächtigsten Galeristinnen Babylons gilt. Wenn wirtschaftliche und künstlerische Motive wegfielen (in dieser Reihenfolge, unterstrich Padilla), blieben noch Herzschmerz und Liebeswahn, doch war besagter Maler berühmt für seine gegen weiblichen Hüftschwung und mehr oder weniger salonfähige Romantizismen gefeite Kaltblütigkeit, weshalb diese Erklärung ebenfalls ausscheiden musste. Und wenn wirtschaftliche, künstlerische und sentimentale Gründe wegfallen, was bleibt, um einen Menschen in den Selbstmord zu treiben? Elementar, Krankheit oder Lebensüberdruss, einer dieser beiden Serienkiller hat ihn kaltgemacht, such dir einen aus. Was die Identität des Gottes der Homosexuellen betraf, war Padilla kategotisch: Er ist der Gott der Bettler, der Gott, der auf dem Boden schläft, an den Eingängen zur Metro, der Gott der Schlaflosen, der Gott der ewigen Verlierer. Er sprach in diesem Zusammenhang (verworren) von Belisar und Narses, zwei byzantinischen Generälen, ersterer jung und schön, letzterer ein alter Eunuch, aber beide für die militärischen Vorhaben des Kaisers hervorragend geeignet, und sprach von Byzanz’ Lohn. Ein schutzloser, hässlicher, schillernder Gott, sagte er, der liebt, aber dessen Liebe furchtbar ist und sich immer, wirklich immer, gegen ihn wendet.
    Chiles und der Welten Lohn, kam Amalfitano in den Sinn, und verdammt noch mal, dachte er, er beschreibt mir doch den Gott der armen Dichter, den Gott Rimbauds und Lautréamonts.
    Der Roman schreitet voran, schrieb Padilla in einem Nachsatz, aber die Arbeit als Korrektor gab ihm den Rest. Zu viele Stunden musste er Originale und Fahnen vergleichen, sicher würde er bald eine Brille brauchen. Die Nachricht betrübte Amalfitano, waren doch die einzigen Brillen, die zu seinem Gesicht passten, schwarze Sonnenbrillen, und das auch nur wegen der verwirrenden Wirkung, die Padilla erzielte, wenn er sie mit provozierend sanfter Geste abnahm.
    Die Antwort war eine Auflistung guter Gründe, warum er gegen alle Widerstände die Arbeit an Der Gott der Homosexuellen fortsetzen sollte. Wenn du fertig bist, schlug er auf gewollt beiläufige Art vor, kannst du uns besuchen kommen. Man sagt, schrieb er, der Norden Mexikos sei bezaubernd. Auf diesen Brief kam keine Antwort. Eine Zeitlang wahrte Padilla Schweigen.

12
     
    Kurz darauf begann Padilla sich überwacht zu fühlen. Schon früher in seinem Leben hatte er dieses Gefühl gehabt: das Gefühl der Beute im Wald, die den Jäger wittert. Aber das lag so lange zurück, dass er die in seiner Jugend erhaltenen Hinweise und Ratschläge vergessen hatte, und wie man sich in einer solchen Situation verhalten sollte, fiel ihm nicht ein, dämmerte ihm nur vage.

II    Amalfitano und Padilla
     

1
     
    Padilla sagte, erzähl mir, erzähl mir von den gefährlichen Dingen in deinem Leben, und Amalfitano dachte an einen Jugendlichen zu Pferd, er selbst, bildhübsch, und dann dachte er an eine schwarze Decke, an die Decke, in die er sich im Gefangenenlager gehüllt hatte, wenn der Morgen dämmerte, dachte erst an ihre Farbe, dann an den Geruch, den sie verströmte, und schließlich an das Gewebe, an das angenehme Gefühl, sie sich übers Gesicht zu ziehen und seine Nase, seine Lippen, seine Stirn und seine geschwollenen Wangen mit dem rauhen Stoff in Berührung kommen zu lassen. Es war eine Heizdecke, aber Steckdosen gab es dort keine. Und Padilla sagte, mein Geliebter, lass meine Lippen deine schwarze Decke sein, lass mich mit Küssen die Augen bedecken, die so viel gesehen haben. Und Amalfitano fühlte sich glücklich mit Padilla. Er sagte: Joan, Joan, Joan, eben erst verlasse ich den Tunnel, wie viel verlorene Zeit, wie viele vergeudete Tage, und er dachte auch: Hätte ich dich früher kennengelernt, aber das dachte er nur, oder er sagte es Padilla, aber telepathisch, so dass dieser nicht Idiot zu ihm sagen konnte, früher?, wann?, in einer Zeit außerhalb der Zeit, dachte Amalfitano, während Padilla ihm sanft den Rücken küsste, in einer idealen Zeit, in der Wachsein Träumen bedeutete, in jenem Land, in dem Männer Männer liebten, war das nicht der Titel eines Romans?, sagte Padilla, ja, sagte Amalfitano, aber ich erinnere mich nicht an den Namen des Autors. Und dann, als ritte er auf einer Welle nach der anderen in die Nacht, kehrte die schwarze Heizdecke zurück, mit ihrem Schwänzchen und ihren Flecken, und über die Schreie hinweg, Schreie, die den herannahenden Orkan ankündigten, ertönte
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