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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Arturo De Sisti, lässt er sich aber auch ohne Helfer realisieren, indem man sich ausschließlich auf die äußere Erscheinung der Person konzentriert – ein Alphabet, das über unerwartete, aber eindeutige und direkte Kanäle zu den Dingen führt, die sich in den Taschen der Zuschauer befinden. In diesem Fall sind die verborgenen Worte nicht die, die der Helfer ausspricht, sondern solche, die ein Schlips sagt, ein Taschentuch, ein Hemd, ein Hut, ein Kleid, eine Perlenkette: Kaum hörbare Worte, kondensierte Worte, die selten täuschen. Es geht nicht darum, um das klarzustellen, jemand nach seinem Äußeren zu beurteilen, sondern darum, einen Bezug herzustellen, einen Fluss, zwischen dem, was sichtbar ist, und dem, was man, weil es klein und zweckmäßig ist, einstecken hat. Er interessierte sich auch für die Kunst, Personen verschwinden zu lassen. Dieser komplizierte Trick wird von verschiedenen Schulen unterschiedlich und zuweilen gegensätzlich entwickelt, angefangen bei der chinesischen über die arabische und nordamerikanische (die klassische, die Personen verschwinden, und die moderne, die Züge verschwinden ließ) bis hin zur italienischen. Es ist nicht bekannt, für welche Arcimboldi sich interessierte. Man hat nie gesehen, dass er jemand verschwinden ließ, obwohl er mit manchen Freunden recht intensiv darüber sprach.

9
     
Erzfeinde von Arcimboldi
     
    Lisa Julien , die er 1946 kennenlernte und mit der von 1947 bis 1949 zusammenlebte. Die Beziehung fand ein handgreifliches Ende: In einer aufgezeichneten Vernehmung von 1971 gestand Arcimboldi, Fräulein Julien zweimal geohrfeigt zu haben, einmal mit der offenen Hand und einmal mit dem Handrücken. Zwischen die beiden Ohrfeigen schoben sich Faustschläge (Arcimboldi trug ein blaues Auge davon), Tritte, kratzende Fingernägel und Beleidigungen, für die der Schriftsteller die Bezeichnung Grenzerfahrung wählte. Unter der Flut von Schlägen, sagt er, sei es ihm vergönnt gewesen, einen halb zerstreuten, halb neugierigen Blick auf das Nichts in Reinform zu werfen. Der Hass von Fräulein Julien war ausdauernd: In einem seltenen Interview aus dem Jahr 1992 für eine pseudoliterarische Illustrierte anlässlich einer Umfrage zum Thema »Leidtragende Künstlerfrauen« sprach sie von Arcimboldi als »impotentem Giftzwerg«.
    Arthur Laville , Lektor bei Gallimard und Kunstkritiker für verschiedene Fachzeitschriften in Europa und in den Vereinigten Staaten, der sich in der Hauptfigur von Der Bibliothekar auf hämische Art porträtiert sah. In wilder Wut, die wenige ihm zugetraut hätten, zog Laville von 1966 bis 1970 gerichtlich gegen Arcimboldi zu Felde. Vermutlich steckte er auch hinter mehreren anonymen Briefen mit Morddrohungen und unzähligen Anrufen, bei denen er den Schriftsteller beleidigte und verhöhnte oder schwieg und übertrieben laut atmete. Ende 1970 legte sich Lavilles Wut so plötzlich wie sie begonnen hatte. 1975 begegneten sie einander im Flur des Verlags und grüßten höflich.
    Charles Dubillard , patriotischer Dichter, Camelot und überzeugter Pétain-Anhänger. 1943 verpasste er dem jungen Arcimboldi öffentlich eine Tracht Prügel, welcher im übrigen nichts tat, um den Streit zu vermeiden, sondern den Freunden, die ihn bremsen wollten, versicherte, um nichts auf der Welt werde er sich das Vergnügen entgehen lassen, dem Faschistenschwein Dubillard die Fresse zu polieren. 1947 trafen sie sich wieder, diesmal bei einer Dichterlesung in Paris, wo der zum Gaullismus konvertierte Dubillard ein Gedicht über die Hügel des Languedoc, die Spuren der Zeit und das Licht des Vaterlandes vortrug (Arcimboldi zufolge begannen und endeten alle faschistischen Erlöser unter den muffigen Unterröcken des Vaterlands). Diesmal prügelten sie sich im Hinterzimmer des Saals. Arcimboldi war allein gekommen, weshalb niemand ihn davon abzubringen versuchte. Dubillard begleiteten drei Freunde von der Universität, von denen einer seine steile Karriere als sozialistischer Minister in den Achtzigern abschloss, und alle versuchten Arcimboldi zu überzeugen, dass sich erstens die Zeiten geändert hätten, und zweitens Dubillard viel stärker und schwerer wäre als er, der Kampf daher objektiv betrachtet ungleich. Trotz allem schlugen sie sich, und wieder zog Arcimboldi den kürzeren. Zur nächsten Begegnung kam es 1955 in einem bekannten Pariser Restaurant. Dubillard hatte sich von der Literatur ab- und den Geschäften zugewandt. Diesmal beschränkte sich der Kampf

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