Die Noete des wahren Polizisten
Wochenende den Lohn auszuzahlen. Cochrane hatte weiße, bis auf die Schultern reichende Haare und war immer schwarz gekleidet. Je nachdem, ob die Sonne schien oder Wolken am Himmel hingen, wirkte er manchmal wie ein alter Hippie oder wie ein Totengräber. Seine Männer sagten, er sei hart, und pflegten einen vertraulichen, aber respektvollen Umgang mit ihm. Er war kein Ire, wie einige glaubten, sondern Nordamerikaner, Gringo, ein katholischer Gringo.
Jeden Sonntagmorgen brachte die Frau von Don Gabriel Salazar einen Pfarrer mit, damit er in der Kapelle, die sich am anderen Ende des großen Hauses befand, die Messe läse. Und Cochrane war der erste, der erschien; er grüßte die Chefin und setzte sich in die erste Reihe, dann kam das Hauspersonal, die Köchin, die Dienstmädchen, der Gärtner und einige Leibwächter, nicht viele, da sie den Sonntagmorgen lieber in den Anbauten des Wirtschaftsgebäudes verbrachten, Karten spielten, ihre Waffen überprüften, Radio hörten, nachdachten oder dösten. Pancho Monje nahm nie am Gottesdienst teil.
Einmal fragte ihn Alejandro Pinto, der auch nicht zur Messe ging, ob er an Gott glaube oder Agnostiker sei. Alejandro Pinto las Okkultismus-Zeitschriften und kannte die Bedeutung des Wortes Agnostiker. Pancho nicht, erriet sie aber.
»Agnostiker? Das ist was für Schwule«, sagte er. »Ich bin Atheist.«
»Was glaubst du, gibt es etwas nach dem Tod?«, fragte Alejandro Pinto.
»Nach dem Tod gibt es nichts.«
Die übrigen Leibwächter waren überrascht, dass ein siebzehnjähriger Bursche so klare Vorstellungen hatte.
2
Im Jahr 1865 wurde ein dreizehnjähriges Waisenmädchen in einem der Lehmziegelhäuser von Villaviciosa von einem belgischen Soldaten vergewaltigt. Der Soldat starb tags darauf mit durchschnittener Kehle, und neun Monate später kam ein Mädchen zur Welt, das den Namen María Expósito erhielt. Die junge Mutter verstarb an Kindbettfieber, und das Mädchen wuchs als Pflegekind in dem Haus auf, in dem es gezeugt worden war und das jetzt Bauern gehörte, die fortan für es sorgten. Im Jahr 1880, als María Expósito fünfzehn war, entführte sie während der Feiern zu San Dimas ein betrunkener Fremder auf seinem Pferd und sang dabei aus vollem Hals:
Was für Sauereien sind das,
Sagte Dimas zu Gestas .
An den Hängen eines Berges, den die Landbevölkerung in ihrem unerforschlichen Humor den Hügel der Toten nannte und der von der Ortschaft aus betrachtet an einen scheuen, aber neugierigen Dinosaurier erinnerte, vergewaltigte er sie mehrfach und verschwand.
1881 bekam María Expósito eine Tochter, die María Expósito Expósito getauft wurde und die Bewohnerschaft von Villaviciosa in Erstaunen setzte. Von frühster Kindheit an bewies sie einen scharfen und wachen Verstand, und obwohl sie nie lesen und schreiben lernte, erwarb sie sich den Ruf einer weisen Frau, die sich mit Heilkräutern und Salben auskannte.
1897 erschien María Expósito Expósito, nachdem sie sechs Tage lang spurlos verschwunden war, mit gebrochenem Arm und Quetschungen am ganzen Körper auf dem Marktplatz von Villaviciosa, einer offenen, kahlen Fläche in der Mitte des Dorfes. Sie wollte nie verraten, was ihr widerfahren war, und die Würdenträger von Villaviciosa beharrten auch nicht darauf, dass sie es tat. Neun Monate später kam ein Mädchen zur Welt, das den Namen María Expósito erhielt und das seine Mutter, die nie heiratete, keine weiteren Kinder bekam und nie mit einem Mann zusammenlebte, in die Geheimnisse der Heilkunst einweihen wollte. Aber die kleine María Expósito glich ihrer Mutter nur hinsichtlich ihres guten Charakters, den sie übrigens mit allen María Expósito aus Villaviciosa teilte (auch wenn die einen wortkarg, die anderen redselig waren); der gute Charakter, ein natürliches Talent, Zeiten von Gewalt und extremer Armut beherzt durchzustehen, war allen gemeinsam.
Kindheit und Jugend der jüngsten María Expósito verliefen jedoch viel unbeschwerter als bei ihrer Mutter und Großmutter. Noch 1913, mit sechzehn Jahren, dachte und verhielt sie sich wie ein kleines Mädchen, dessen einzige Aufgabe es war, einmal monatlich mit der Mutter auf die Suche nach seltenen Kräutern zu gehen und im hinteren Teil des Hauses, in einem alten Holztrog, und nicht, wie die anderen Frauen, im öffentlichen Waschhaus, die Wäsche zu waschen.
In jenem Jahr erschien im Dorf Oberst Sabino Duque (den man 1915 wegen Feigheit erschießen sollte), auf der Suche nach mutigen
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