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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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angeblichen Vaters. Ihre Ururgroßmutter sagte, es sei purer Hochmut, dem Namen Expósito, der der ihre war, den Namen Monje voranzustellen, und wenig später, als Pancho zwei Jahre alt war und nackt auf den dunkelgelben Straßen von Villaviciosa herumlief, starb sie.
    Als Pancho fünf war, starb seine andere Oma, die Kindliche, und als er fünfzehn wurde, starb die Schwester von Rafael Expósito. Und als Pedro Negrete ihn abholen kam, lebten nur noch die Bohnenstange und seine Mutter.

3
     
    »Wir haben sie von weitem gesehen und sofort gewusst, wer sie waren, und auch sie wussten, dass wir wussten, und gingen weiter. Das heißt: Wir wussten, wer sie waren, sie wussten, wer wir waren, sie wussten, dass wir wussten, wer sie waren, wir wussten, dass sie wussten, dass wir wussten, wer sie waren. Alles ganz klar. Der Tag barg kein Geheimnis! Ich weiß nicht, warum mir von dem Nachmittag am deutlichsten die Kleider in Erinnerung geblieben sind. Vor allem die Kleider der Leute. Der mit der Magnum, der sicherstellen sollte, dass es die Frau von Don Gabriel erwischt hatte, trug ein weißes, weites Sommerhemd mit Stickereien auf der Brust. Der mit der Uzi trug ein grünes Sarga-Sakko, das ihm zwei Nummern zu groß war.«
    »Hei, wie du dich mit Stoffen auskennst, mein Süßer«, sagte die Nutte.
    »Ich trug ein weißes, kurzärmliges Hemd und Drillichhosen, die Cochrane mir gekauft und schon von meinem Wochenlohn abgezogen hatte. Die Hose war mir zu weit, und ich musste sie mit einem Gürtel festschnallen.«
    »Du warst schon immer gertenschlank, Herzchen«, sagte die Nutte.
    »Um mich herum bewegten sich Kleidungsstücke, nicht Personen aus Fleisch und Blut. Alles war sonnenklar. Der Nachmittag barg keine Geheimnisse! Aber gleichzeitig war alles verdreht. Ich sah Röcke, Hosen, Schuhe, schwarzweiße Strümpfe, Socken, Taschentücher, Sakkos, Krawatten, alles, was in einem Modegeschäft zu finden ist, sah texanische Sombreros und Strohhüte, Baseballmützen und Haarbänder, und alle Kleider trieben über den Gehweg, trieben durch die Passage, vollkommen losgelöst von der Wirklichkeit der Passanten, als würde das Fleisch, an dem sie hingen, sie abstoßen. Glückliche Leute, hätte ich denken sollen. Hätte sie beneiden sollen. Sie sein wollen. Leute mit oder ohne Geld in den Taschen, aber fröhlich unterwegs ins Kino oder in Plattenläden oder zu einem Bier oder auf dem Rückweg von einem Spaziergang. Aber tatsächlich dachte ich: Wie viele Kleider. Wie viel saubere, neue, nutzlose Kleidung.«
    »Du hast wohl an das Blut gedacht, das man vergießen würde, Schätzchen«, sagte die Nutte.
    »Nein, an die Einschusslöcher habe ich nicht gedacht, auch nicht an das Blut, das alles versaut. Ich dachte bloß an die Kleider. An die verdammten Teile, die hierhin und dorthin rannten.«
    »Soll ich dir vielleicht einen schnullen, mein Herz?«, fragte die Nutte.
    »Nein. Sei still. Von der Frau von Don Gabriel sah ich nicht die Kleider. Von ihr sah ich das Perlencollier. Wie ein Planetensystem. Und von den beiden Dicken sah ich alles: die Blickwechsel, die glänzenden Jacketts, die dunklen Krawatten, die weißen Hemden und die Schuhe, wie soll ich sagen: Mokassins, weder alt noch neu, richtige Wichser- und Hosenscheißermokassins, Schuhe, wie sie nur Feiglinge tragen, deren Knittern sich das würdelose Einknicken und die Angst derer ablesen lässt, die alles verkauft haben und noch immer auf ihr Glück hoffen, zumindest auf ein bisschen Spaß, ein Abendessen dann und wann, ein Sonntag mit der Familie und den Kindern, die armen in der Wüste postierten Knirpse, die verknickten Fotos, die ein oder zwei nach Scheiße stinkende Tränen hervorlocken. Ja, ich sah ihre Schuhe, und dann sah ich die Kleiderparade in der Luft und sagte zu mir, wie viel Verschwendung, wie viel Reichtum gibt es in diesem Santa Teresa der Sünder.«
    »Jetzt übertreib nicht, mein Engel«, sagte die Nutte.
    »Ich übertreibe nicht. Ich erzähle nur, was passiert ist. Die Frau von Don Gabriel ahnte nicht mal, dass ihr der Tod im Nacken saß. Aber die erbärmlichen Fettsäcke aus Tijuana und ich sahen und erkannten ihn sofort. Die Mörder zogen wie die Sterne ihre Bahn. Eine seltsame Mischung: Sterne und Beamte. Sie gingen ohne Eile, ohne ihre Waffen besonders zu verstecken und ohne uns einen Moment aus den Augen zu lassen. Ich nehme an, das war der Moment, in dem meine beiden Kollegen der Mut verließ. Sie entschieden für sich, dass diese Blicke stärker waren

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