Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
Art, und falls Menschen in der Lage gewesen wären, sie zu sehen, sie wären vom Glauben abgefallen.
Suchos stand abseits, allein für sich, und ihm war elend zumute.
Das lag zum einen daran, dass die Schuldgefühle mit tausend Krokodilzähnen an ihm nagten, zum anderen an der Tatsache, dass das Fehlen des Ankh bereits erste Auswirkungen zeigte. Seine grünen Schuppen begannen sich grau zu verfärben, die Zahnreihen wackelten, und ein großer Eckzahn war ihm bereits ausgefallen; die linke Hand aber, die seit Göttergedenken das Ankh gehalten hatte, war steif und taub.
Nun trat Amun zu ihm, schickte einen Flächenblitz über die Höhe, den man im nahen Theben als Irrlicht und weiteren Unheilsboten erkannte, und rief zur Ruhe.
Es dauerte einige Zeit, und manche der Streithähne, respektive Streitgötter, wollten gar nicht voneinander lassen, sodass sich Amun genötigt sah, weitere Blitze über Biban el-Moluk zu senden, die bei den Menschen in Theben in ihren Notquartieren Anfälle von Panik und Gottesfurcht auslösten, was im Grunde das Gleiche war.
Endlich verebbten das göttliche Gezeter, Gekeife, Geschnatter, Gebelle und Gebrülle, und Amun fand Gehör.
»Ihr wisst alle, worum es geht, und es ist nicht die Zeit für euer kleinmütiges Gezanke. Wir müssen in dieser Stunde zusammenhalten und eine Lösung finden, sonst wird es zur Katastrophe kommen. Das Gefüge der Welt ist bereits erschüttert, und ihr habt nichts Besseres zu tun, als eure uralten Streitigkeiten aufs Neue auszutragen. Es fehlt nur noch, dass Osiris und Seth wieder aneinander geraten und dabei die Welt untergeht. Ich aber sage euch, wir brauchen die Welt. Und wir brauchen die Welt mit Menschen darin. Weil wir sonst auf uns allein gestellt sind und verkümmern werden. Die Gläubigen sind das Wasser, das uns labt, und ihre Opfer sind die Nahrung, die uns speist. Ihre Gedanken sind die Energien, die uns groß und stark machen. Wir müssen dieses Problem lösen, sonst haben wir keine Probleme mehr.«
Die Runde der Götter schwieg betroffen. Amun hatte es auf den Punkt gebracht, den sie so gern übersahen und der sie aus ihrer Allmacht in eine Ohnmacht stürzte.
Amun triumphierte innerlich. Sie waren so weit, jetzt würden sie ihm aus der Hand fressen und alles akzeptieren, was er vorschlug. Er fuhr fort.
»Einige von euch forderten, Suchos möge die Sache in Ordnung bringen, weil er schließlich die Situation verschuldet hat. Da gebe ich euch Recht, aber Suchos ist durch den Verlust des Ankh viel zu schwach, um irgendetwas unternehmen zu können. Wir brauchen für diese Aufgabe jemanden, der stark ist, sehr stark. Und schlau.«
Toth fühlte sich geschmeichelt und trat lächelnd einige Schritte zu Amun.
Amun schüttelte den Kopf. »Nein, mein Freund Toth. Du nicht und die meisten von den anderen auch nicht. Es wird nicht einfach sein, dem Menschen Raffim das Ankh wieder abzunehmen. Mit Gewalt geht es nicht, denn das Ankh macht ihn nahezu unverwundbar, selbst wenn ihn ein Gott angreift. Wir müssen es mit List zurückgewinnen, und wir brauchen Geduld. Aber wir können uns immer nur für kurze Zeit in eine andere Gestalt verwandeln, und es wäre doch zu auffällig, wenn ein ibisköpfiger Schreiber zu den Hyksos stoßen würde. Oder eine kuhgehörnte Schönheit Raffim beischliefe. Nein, wir brauchen jemanden, der in der Menschenwelt kaum auffällt. Die große Aufgabe, das Ankh zurückzugewinnen, soll Apis übernehmen. Er ist ein Stier, ein ziemlich großer und kräftiger zwar, aber ein Stier. Das einzig Untierische an ihm ist die Sonnenscheibe zwischen seinen Hörnern, aber die wird Ptah in Verwahrung nehmen.
Wir werden es so einrichten, dass der Hyksosbauer Melmak ihn günstig erwerben kann. Dann ist er ganz nahe bei Raffim, denn die Hyksos werden Theben sehr bald verlassen«, schloss Amun, und alle nickten zustimmend mit dem, was sie als Köpfe trugen. Alle bis auf Methyer, die kuhgestaltige Göttin des Urgewässers. Sie sah ihre Gelegenheit gekommen, Hathor bei Apis auszustechen. »Lass mich mit ihm gehen, als Paar sind wir gut getarnt. Und ich kann Apis helfen, wenn er Verstärkung braucht«, bettelte sie.
Amun schüttelte den Kopf. »Nein, meine Liebste, ich denke, du würdest Apis nur ablenken. Und die Menschen wären wohl sehr misstrauisch, wenn sie euch erst einmal bei der Paarung sähen. So viel göttlichen Funkenflug vertragen sie nicht«, sagte Amun entschieden und sah noch einmal über die illustre Schar der Götter. »Ich danke
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