Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott

Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott

Titel: Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Scherm
Vom Netzwerk:
Müll zur Seite räumen und einziehen. Andere hatten längst ihren Platz eingenommen, und Seshmosis fürchtete, dass sie nicht ohne weiteres wieder gehen würden. Er stellte es sich sehr schwierig vor, den Leuten zu sagen: »Hallo, dies ist das Haus unserer Väter, und wir sind wieder da. Danke, dass ihr es in den letzten paar hundert Jahren umgebaut und erweitert habt, ebenso Dank für die Betreuung unserer Weiden, Weinberge und Obstbäume. Aber jetzt zahlt bitte die rückständige Miete und verschwindet gefälligst.«
    Einzig die Tatsache, dass es bis zu diesem Augenblick noch sehr lange dauern würde, beruhigte ihn. Und auch wieder nicht. Es fehlte ihm völlig an Fantasie, sich vorzustellen, wie man unbeschadet von A nach B gelangen konnte, geschweige denn, wie die Strecke zwischen A und B aussah. Sicher, er besaß Landkarten, und in seinem Kopf tummelte sich eine erkleckliche Zahl von Ortsnamen, mit denen sich jedoch keine Bilder verbanden. Mit denen sich überhaupt nichts verband, außer der Wahrscheinlichkeit, dass sie dort durchziehen mussten.
    Seshmosis versuchte sich die Karte einzuprägen, die vor ihm lag, wohl wissend, dass er als Führer des Zuges souverän sein musste. Zumindest die anderen sollten diesen Eindruck haben.
     
    Melmak, der Bauer und Viehhändler, streifte ein letztes Mal durch den Markt von Theben. Nach der Katastrophe des Vortags war dies ein improvisierter Markt. Aber, welcher wirkliche Markt ist das nicht? Melmaks Rechnung war denkbar einfach: Land besaß keine Beine, Vieh schon. Was Beine besaß, musste man nicht tragen und konnte man gut mitnehmen. Also: Weg mit dem einen und her mit dem anderen.
    Sein Konzept ging bisher auf, und er strahlte vor Zufriedenheit, als er einen abgelegenen Pferch erreichte. Darin befand sich nur ein einziger Stier. Aber was für einer. Ein Stier, wie er ihn nie zuvor gesehen hatte. Groß, stark, strotzend vor Gesundheit und mit einer Aura höchster Energie. Melmak war überwältigt.
    Dieses Wesen war ein Gott von einem Stier, und er musste ihn besitzen.
    Er sah sich nach dem Besitzer um. An einem Pfosten des Pferches, den schmalen Schatten nutzend, hockte eine kauernde Gestalt.

     
    »He, du!«, rief Melmak ihn an. Die Gestalt rührte sich nicht. Melmak trat näher. »He, du, ist das dein Stier?«
    Immer noch keine Reaktion. Der Viehhändler war irritiert. Er tippte der Gestalt auf den linken Arm. Endlich rührte sie sich. Der Kopf fiel auf die Brust.
    Melmak beugte sich über den Fremden und rüttelte seine Schultern. Dabei fiel der Kopf nun leblos in den Nacken. So lebendig das Prachtexemplar von Stier war, so tot war sein Besitzer.
    Melmaks Blick fiel auf ein Stück Papyrus, das der Tote in den Händen hielt. Vorsichtig nahm er es an sich. Es war die Besitzurkunde für den Stier.
    Melmak wandte misstrauisch den Kopf nach links und rechts, doch niemand war zu sehen. Das Markttreiben fand hinter einem Schleier aus Staub statt, und alle Geräusche klangen nur gedämpft an sein Ohr. Er überlegte kurz. Melmak überlegte immer nur kurz, denn er war Viehhändler, und da war langes Überlegen geschäftsschädigend.
    Dann fischte er einige Kupfermünzen aus seinem Beutel und drückte sie dem Toten in die Hand, in der vorher noch das Papyrus gewesen war. Melmak hielt sich zugute, dass er ein Viehhändler und kein Viehdieb war, wobei der Unterschied für Außenstehende meist unbemerkt blieb.
    Natürlich war der Preis zu niedrig für einen Stier und viel zu niedrig für so einen. Normalerweise bekam man für diesen Preis gerade mal eine klapprige Ziege. Aber was sollte ein Toter schon mit Geld?
    »Möge dein Ka Friede finden«, murmelte er teilnahmsvoll. Dann richtete er sich wieder auf, steckte die Besitzurkunde in seinen Beutel und ging vorsichtig auf den Stier zu. Man sollte auf Stiere immer vorsichtig zugehen, vor allem, wenn ihre Besitzer tot in der Gegend herumlagen.
    Aus der Nähe betrachtet, war der Stier noch beeindruckender. Sein Fell war schwarz wie die Nacht, und es schien, als glänzten Sterne darin. Melmak versank mit seinen Blicken und seiner Seele in diesem Fell. Er hörte die Sterne singen, und sie kündeten von anderen Welten, in denen längst verstorbene Pharaonen in Gärten wandelten und glückliche Viehhändler keine Steuern bezahlen mussten. Melmak schüttelte sich und klammerte sich an die Realität. Hier war ein Stier. Der prächtigste Stier von Ober- und Unterägypten. Und es war sein Stier. Er hörte auf den regelmäßigen Atem des

Weitere Kostenlose Bücher