Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
so gut bei mir. Und da gibt es bei uns Göttern ein klitzekleines Problem. Unsere Macht reicht nämlich immer nur so weit, wie wir sehen können.«
Seshmosis: »Soll das heißen, deine Macht reicht nicht weiter als von hier bis zu diesem Baum?«
GON: »So könnte man es ausdrücken. Obwohl er mir doch schon leicht unscharf erscheint, könnte man sagen, dass meine Macht bis dorthin reicht.«
Seshmosis: »Das heißt, wenn sich alle meine Leute in einer Reihe vor dir aufstellen, würde deine Macht gerade mal ein Drittel erreichen. Beeindruckend, wirklich beeindruckend.«
GON: »Glaube mir, wenn ich die ersten zehn mit einem Blitzstrahl einäschere, werden auch die hinteren überaus beeindruckt sein. Du darfst es ihnen eben nicht verraten. Das mit meiner Kurzsichtigkeit.«
Seshmosis: »Also, was soll ich nun schreiben? Dass wir keinen Gott neben dir haben dürfen, außer er ist mehr als hundert Meter entfernt?«
GON: »Du musst positiver denken. Verkaufes deinen Leuten als Toleranz. Sag ihnen, ich bin ihr Gott, den sie verehren sollen, aber ich habe nichts dagegen, wenn sie zu den anderen Göttern auch freundlich sind. Klingt doch viel besser.«
Seshmosis: »Ich habe verstanden. Und was soll ich noch schreiben?«
GON: »Ich glaube, du hast etwas Bestimmtes im Kopf, was ICH sagen soll.«
Seshmosis: »Nun, ich habe da von einem anderen Stamm gehört, der im Norden im Delta lebt. Ihre Anführer sind die Brüder Aaron und Moses, und die wollen so eine Art Hyksos-Gesetze verbreiten. Sozusagen Stammesidentität durch gemeinsame Glaubensregeln. Man sagt, sie bekommen die Anregungen von einem Gott namens Schasu-YHW, der ein Sturm- und Kriegsgott der Midianiter ist. Moses soll nämlich der Schwiegersohn eines Midianiter-Priesters namens Jethro sein. Und da wir auch Hyksos sind, dachte ich mir, wir könnten vielleicht von den nördlichen Stämmen etwas übernehmen.«
GON: »Ich bin Anregungen gegenüber nie abgeneigt. Besser gut geklaut als schlecht erfunden. Was sagt denn der Kollege so?«
Seshmosis: »Zum Beispiel: Du sollst nicht töten!«
GON: »Merkwürdig.«
Seshmosis: »Wieso merkwürdig?«
GON: »Nun ja, ein Kriegsgott, der sagt: ›Du sollst nicht töten‹ erscheint mir doch etwas seltsam, um nicht zu sagen schizophren.«
Seshmosis: »Was würdest du denn sagen? Du sollst töten?«
GON: »So auch wieder nicht. Man müsste sich die Konzeption des Tötens einfach mal genau überlegen. Die Idee des Nichttötens an sich ist faszinierend. Aber wenn ich deinem Stamm sage: ›Du sollst nicht töten‹, sind die moralischen Konflikte doch vorprogrammiert. Stellt euch vor, ihr werdet angegriffen, was dann? Haltet ihr euren Feinden Gesetzestafeln entgegen? Vertraut ihr darauf, dass ich gerade nicht anderweitig beschäftigt bin? Ziemlich riskante Angelegenheit.
Und wenn ihr euch wehrt und einen Feind tötet, dann seid ihr in der Zwickmühle, weil ihr gegen mein Gebot verstoßen habt. Dann müsste ich konsequent sein und euch bestrafen.«
Seshmosis: »Also schreibe ich: ›Du sollst nicht töten, außer dir will einer an den Kragen‹?«
GON: »Schon besser. Du musst einfach bedenken, dass du der Moraltheologie eine Chance gibst. Sonst beschäftigen sich deine Leute mehr mit der Auslegung meiner Worte als mit effektiver Arbeit. Was gibt es sonst noch als Inspiration?«
Seshmosis: »Du sollst nicht stehlen.«
GON: »Ihr seid doch jetzt Nomaden, oder?«
Seshmosis: »Ja doch, warum?«
GON: »Und dann: ›Du sollst nicht stehlen‹? Ziemlich unpraktisches Gebot, wenn man Hunger hat.«
Seshmosis: »Also gut: ›Du sollst nicht stehlen, außer wenn du Hunger hast.‹«
GON: »Oder anderes Lebensnotwendiges brauchst. Zum Beispiel Decken, Esel, Pferde, Ausrüstung und Souvenirs.«
Seshmosis: »Souvenirs?«
GON: »Ja, Souvenirs, Erinnerungsstücke. Man braucht Dinge, an denen man die Erinnerung festmachen kann.«
Seshmosis: »Also gut, Souvenirs.«
GON: »Fein, dann hätten wir die Eigentumssachen geklärt. Was gibt es sonst noch?«
Seshmosis: »Da wäre etwas in Sachen Freizeit: ›Du sollst den Feiertag heiligen.‹«
GON: »Was ist ein Feiertag?«
Seshmosis: »Nun, ein Tag, an dem man nicht arbeitet und eben feiert.«
GON: »Was feiert?«
Seshmosis: »Den Jahrestag unseres ersten Treffens, vielleicht? Oder den Tag, an dem du dich nach der Schöpfung der Welt ausgeruht hast?«
GON: »Wonach habe ich mich ausgeruht?« Seshmosis: »Nach der Schöpfung der Welt.« GON: »DU meinst also wirklich, ICH hätte
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