Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
die Welt geschaffen? Mit einer Sichtweite von hundert Metern schaffe ich die ganze Erde, die Sonne und das unendliche Weltall? Danke für dein Vertrauen. Aber du musst dich leider damit abfinden, dass das mit der Erschaffung der Welt ganz anders gelaufen ist. Und jeder Gott, der es für sich in Anspruch nimmt, ist ein Hochstapler. Wo soll er denn, bitte schön, gewohnt haben, wenn es noch nichts gab? Jede Gottheit braucht ihre Operationsbasis, und von nichts kommt nichts. Geh davon aus, dass es Natur gibt, schon immer. Diese Natur wird von Entitäten beseelt, die durchaus individuelle Ausprägungen haben und die ihr pauschalierend Götter nennt. Also alles, was Natur ist, bringt uns hervor. Da ihr Teil der Natur seid, habt ihr das Bedürfnis, dass es uns gibt. Natürlich gibt es uns auch ohne dieses Bedürfnis, aber weil ihr es habt, können wir mit euch in Kontakt treten.
Aber das ist für euch wichtig, weniger für uns. Schau dir ein Beispiel an: die Schwerkraft. Es ist der Schwerkraft völlig egal, ob du an sie glaubst oder nicht. Wenn du stolperst, fliegst du mit oder ohne Glauben auf die Nase, ganz einfach, weil sie da ist. Ähnlich ist es mit den Göttern. Wenn ihr mit uns ins Gehege kommt, gibt es Schwierigkeiten, und zwar für euch. Wenn ihr aber vorher wisst, dass es uns gibt, könnt ihr diese Schwierigkeiten vermeiden. Meistens jedenfalls.«
Seshmosis: »Also kein Feiertag?«
GON: »Bist du Prophet oder Gewerkschafter?«
Seshmosis: »Nun, ich dachte, ab und zu ein freier Tag, an dem man nicht durchs Land ziehen muss und sich ausruhen kann, wäre für die allgemeine Moral ganz gut.«
GON: »Für alle? Auch für Frauen und Sklaven?«
Seshmosis: »Ja, für alle.«
GON: »Und wer kümmert sich dann ums Vieh und ums Essen, und wer hält Wache, wer legt Brennholz nach, wer betreut die Herbergen, und wer zündet das Licht in der Nacht an?«
Seshmosis: »Also für Frauen und Sklaven nicht?«
GON: »Würde ich nicht unbedingt sagen. Eines Tages wird die Sklaverei wohl abgeschafft werden. Und danach werden sich irgendwann sogar die Frauen zu Wort melden. Und schon gibt es wieder Konflikte zwischen den Geboten und der Realität.«
Seshmosis: »Überhaupt keine Feiertage?«
GON: »Doch, doch. Feiertage sind nicht schlecht. Aber nicht so eng gefasst. Du bist immer so absolut.«
Seshmosis: »Ich werde mir etwas einfallen lassen.«
GON: »Hast du noch mehr auf Lager? Langsam beginnt die Sache mir Spaß zu machen.«
Seshmosis: »Wie wäre es mit: ›Du sollst nicht ehebrechen‹?«
GON: »Hm, Sexualität ist immer ein heikles Thema.«
Seshmosis: »Aber alle Götter äußern sich dazu, irgendwie.«
GON: »Ja, aber sehr widersprüchlich, wie ich gehört habe. Da gibt es Pietisten und Sexisten gleichermaßen. Und keiner und alle haben Recht. Ich weiß nicht so recht, ob ich mich da einmischen soll. Im Prinzip geht es mich ja nichts an, ob der eine mit der anderen die Ehe bricht oder nicht.«
Seshmosis: »Gut. Dann entfällt wohl auch: ›Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib‹?«
GON: »Ersatzlos streichen.«
Seshmosis: »Wie steht es mit dem Begehren in Richtung der anderen Dinge des Nächsten? Sein Haus, sein Knecht, seine Magd, sein Ochse und sein Esel?«
GON: »Da reicht mein modifiziertes Diebstahlgebot. Vorschriften müssen überschaubar bleiben, sonst gibt es zu viele Schlupflöcher.«
Seshmosis: »Fein. Alles klar. Was machen wir mit: ›Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten«?«
GON: »Ein Ehrenparagraph. Nicht schlecht. Endlich wieder etwas Philosophisches. Ehre ist wichtig. Verleumdungen und Beleidigungen sind schlecht. Die sind die Wurzel für endlose Rechtsstreitereien und der Sumpf, in dem Advokaten gedeihen. Ungeheuer, was da an Volksvermögen, an Streitwert verloren geht. Gefällt mir nicht. Andererseits ist Blutrache auch nicht gut. Vergeltungsfeldzüge, Fehdekriege, Vendetta, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Aber wehren muss man sich trotzdem. Das ist ein ganz wichtiges Gebot. Formuliere es gut und nicht so wachsweich.«
Seshmosis: »Mache ich.«
GON: »Noch etwas?«
Seshmosis: »Eines noch: ›Du sollst Vater und Mutter ehren und so weiter. ‹«
GON: »Gefährlich! Sehr gefährlich. Einfach ehren, nur weil sie die biologischen Erzeuger sind? Was ist dann mit den Kindesmisshandlern und den Kinderschändern? Werden die auch geehrt? Nur weil sie Eltern sind? Was ist mit den Müttern, die ihre Töchter zwingen, Eislaufprinzessinnen zu werden? Oder Väter,
Weitere Kostenlose Bücher