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Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott

Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott

Titel: Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Scherm
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absolut nichts. Sie schauten genauso wie vorher.
    »Habt ihr mir nicht zugehört? Ich sagte, die Prophezeiung hat sich erfüllt. Unser Gott, der Gott der Tajarim, hat sich mir offenbart«, und dabei streckte er triumphierend seine Linke mit den beiden Schriftrollen in die Höhe.
    Nun kam Bewegung in die Menge. Raffim, natürlich, wer sonst, trat vor.
    »So, so, Gott hat sich dir offenbart. Warum ausgerechnet dir? Warum nicht Shamir oder Hiram oder Melmak oder mir? Willst du dich wieder aufspielen, Seshmosis?«
    »Zwei Antworten: Ich weiß es nicht und nein. Ich weiß nicht, warum sich Gott ausgerechnet mir offenbart hat, und nein, ich will mich nicht aufspielen. Er sagte, er habe mich ausgesucht, weil ich schreiben kann, das ist alles.«
    »Und wer ist unser Gott? Welcher hat uns erwählt?«, wollte Punhas, der Weber, wissen.
    »Ist es Isis? Oder Suchos? Wer, sag wer!«
    »Er ist keiner der bekannten ägyptischen Götter, denn er ist unser Gott«, sagte Seshmosis ruhig.
    »Und wie heißt er?«, kam es von allen Seiten.
    »Er will nicht, dass wir seinen Namen entheiligen. Deshalb sollen wir ihn Gott ohne Namen, kurz GON, nennen.«
    »Hört, hört!«, rief Raffim. »Ich hoffe, du hast Beweise.«
    Seshmosis beschloss aufs Ganze zu gehen. Er konnte nicht zurück, entweder es klappte, oder er konnte sich in der Wüste eingraben und hoffen, dass ihn die Seth-Tiere schnell erwischten.
    Der Schreiber entrollte »Die Kleine Karawane«. Sein Leben hing nun an den Ausscheidungen eines Käfers. Gebannt starrte er auf die Schriftrolle. Und wirklich, der Text ging weiter als beim letzten Mal. Laut las er vor:
    »Und als der Prophet des Herrn vor sein Volk trat, erhoben sich die Stimmen der Zweifler. Jene, die niemals glauben und stets nur sich selbst sehen. Sie bezweifeln den Propheten, sie bezweifeln die Worte des Herrn, und sie bezweifeln den Herrn selbst. Der Herr aber spricht, sie sollen ihren Zweifel erbrechen.«
    Seshmosis’ Worte standen noch in der Luft, als Raffim und einige andere anfingen zu würgen und sich zu übergeben.
    Die Tajarim waren beeindruckt. Und während Raffim, seine Diener Jebul, Jabul und Jubul, der junge Mumal und Barsil, der Händler, noch mit der Wiedergabe ihres Mittagessens beschäftigt waren, schickte Seshmosis einen Dank an GON, wo immer er sich gerade aufhielt. Dabei fiel ihm wieder ein, was GON über seine Kurzsichtigkeit und die damit verbundene Einschränkung seiner Reichweite verraten hatte. Der Gott konnte nicht weit sein.
    Das stärkte Seshmosis’ Selbstsicherheit, und er beschloss, die Gunst der Stunde beziehungsweise des nahen Gottes zu nutzen, und verkündete die Gebote.
    Beruhigt sah er, dass die Tajarim zustimmend nickten, die Gebote waren nach ihrem Geschmack. Keine Menschenopfer, nicht einmal Tiere sollten sie unnötigerweise schlachten, keine Tempelsteuer, in Maßen erlaubter Diebstahl und die Aussicht auf einen freien Tag, das alles gefiel ihnen. Und dann geschah es: Sie ließen GON und seinen Propheten Seshmosis hochleben.
    Seshmosis weinte vor Freude. Nun wird alles gut, dachte er bei sich, und vergaß im Augenblick des Glücks, dass außer GON zurzeit noch rund hundertfünfzig andere Götter in Ägypten wirkten.
    Und das waren nur diejenigen, die den Menschen namentlich bekannt waren.

     
    Es dunkelte schon in Sauti, und die Sterne strahlten hell in der Nacht vor Neumond, als El Vis mit seiner Harfe in der Hand die Windsbraut betrat. Der Kapitän und seine kleine Besatzung saßen derweil in einer Taverne nahe dem Ufer, wohin Kalala sie für diese Nacht verbannt hatte. Nur ihr nubischer Lieblingssklave, Lieblingsfächerwedler und Lieblingsleibwächter Tafa war außer der Prinzessin an Bord. Sie wünschte sich eine romantische Nacht ohne Störenfriede.
    El Vis trat unsicher vor Kalala, die sich erwartungsvoll auf einer Liege auf dem Deck räkelte. Er wusste absolut nicht, was die nächsten Stunden bringen würden.
    »Ich hoffe, du bietest mir ein aufmunterndes Programm, kleiner El Vis aus Memphis. Die letzte Zeit war sehr trübsinnig für mich, ich brauche Erheiterung.«
    »Gewiss, Hoheit. Ich werde mein Bestes geben.«
    »Nichts anderes erwarte ich von dir. Fang an!«
    El Vis trug nur das traditionelle, um die Hüften geschlungene Wickeltuch. Allerdings bedeckte seines nicht wie üblich das Knie, sondern war wesentlich kürzer und noch dazu fliederfarben. Nicht nur zur Zierde waren um seine Fußknöchel schmale Lederriemen mit kleinen Glöckchen daran gebunden, er brauchte sie

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