Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
überaus belebt. Seshmosis war beeindruckt von der grandiosen Architektur, von den fugenlos mit weißen Kalksteinplatten verkleideten Wänden und vom polierten Rosengranit der Tempel. Diese hoch aufragenden Monumente schienen wirklich für die Ewigkeit gebaut, und er überlegte, mit welchen Gefühlen wohl die Menschen der Zukunft diese Pyramiden betrachten würden.
Während er so in seinen Gedanken versunken war, tippte ihm jemand auf die Schulter. Er blickte sich um und sah in das aufgeregte Gesicht von Sarah, der Tochter des Sandalenmachers Samil. »Rachel und Mumal sind verschwunden«, stammelte sie.
Seshmosis wollte sie beruhigen. »Das Gelände ist sehr weitläufig, und wie ich die beiden Turteltäubchen kenne, haben sie sich in eine stille Ecke verzogen.«
»Genau das ist es ja«, lamentierte Sarah. »Sie haben eine stille Ecke gefunden, besser gesagt, eine stille Höhle. Und ich stand davor, um aufzupassen, dass niemand kommt und die beiden stört.«
»Ja und?« Seshmosis verstand die Aufregung nicht.
»Nun, sie sind in die Höhle hinein-, aber nicht mehr herausgekommen.«
»Es kann manchmal schon etwas länger dauern, wenn man sich näher kommt.«
»So lange? Also bei mir«, Sarah brach errötend ab und setzte neu an. »Sie sind nicht mehr drin. Verstehst du denn nicht? Sie sind hineingegangen, nicht herausgekommen und sind auch nicht mehr drin!« Die Verzweiflung in ihrer Stimme nahm zu.
Seshmosis schüttelte den Kopf. »Ich verstehe gar nichts. Aber Mumal ist stark, sehr stark. Ich glaube nicht, dass den beiden etwas passiert ist.«
Er glaubte sich selber nicht. Irgendetwas stimmte hier nicht. Mit nervösem Blick suchte er in der Menge nach seinen Leuten. Die wandelten mit beglückten Touristengesichtern die prächtigen Rampen entlang. Seshmosis beschloss, einen Suchtrupp zu organisieren, und ging schnell in Richtung der anderen Tajarim.
Sarah rührte die Gruppe von etwa einem Dutzend Tajarim zu einem kleinen Höhleneingang. Almak, der Ochsentreiber, war dabei, ebenso wie Elihofni, ein Kollege von Mumal aus dem Steinbruch, Schedrach, der Karrenbauer, der Fleischer Tabut und natürlich die drei von Raffims Leibgarde.
Seshmosis hatte kräftige Männer ausgewählt, man konnte nie wissen. Dazu den zwergenwüchsigen Ismail, weil es ja um eine Höhle ging.
Um Mumal machte sich Seshmosis eigentlich weniger Sorgen, der war so dumm, dass er nicht einmal wusste, wann er in Gefahr war. Aber um Rachel, die attraktive Handtuchhalterin aus dem Badehaus in Theben, tat es ihm Leid. Er war nur nicht sicher, was ihm mehr Leid tat, sie in Gefahr zu wissen oder in Mumals Armen.
Seshmosis konnte nie verstehen, warum sich die schönsten Mädchen immer mit den dümmsten Burschen einließen. Anscheinend verhielt sich männliche Anziehungskraft umgekehrt proportional zum Intellekt, sprich: je mehr Muskeln und je weniger Hirn, desto interessanter für das weibliche Geschlecht. Wenn dies ein Naturgesetz des menschlichen Zusammenlebens war, bekäme er nie eine Chance.
Dabei hatte er einmal, ein einziges Mal, einen ganz zarten Annäherungsversuch gegenüber Rachel gemacht. Aber der war von ihr wohl unbemerkt geblieben.
In einem für ihn völlig ungewohnten Anfall von Mut hatte sich Seshmosis aufgerafft und das Badehaus besucht, in dem Rachel gearbeitet hatte. Eigentlich konnte er sich solche Vergnügungen gar nicht leisten, aber die Versuchung war zu groß gewesen, um ihr zu widerstehen. Als er in dem Becken mit dem wunderbar klaren Wasser gesessen hatte, da hatte er sie, Rachel, gesehen, wie sie von Kadesch, der Göttin des Liebeslebens, erschaffen worden war. Makellos ihre Figur, anmutig ihre Bewegungen, und sie hatte nichts weiter als ein Handtuch getragen. In ihrer Hand. Seshmosis war trotz des angenehm kühlen Wassers ins Schwitzen gekommen, als sein Blick zwischen ihre Beine gefallen war. Kein Härchen hatte die Aussicht verschleiert, und Seshmosis hatte zehn Minuten ins Kaltwasserbecken gemusst, bevor er sich wieder herausgetraut hatte. Seither war er Rachel insgeheim verfallen, mit Haut und ohne Haar.
Als sie den Höhleneingang erreichten, bat Seshmosis den Ziegenhirten Ismail hineinzukriechen. Ismail war einer der wenigen erwachsenen Tajarim, der kleiner war als der Schreiber, denn er war ein Zwerg. Also ideal für diese Aufgabe.
»Siehst du etwas?«, rief Seshmosis ins Dunkel.
»Nein. Gar nichts. Mumal! Rachel! Wo seid ihr? Könnt ihr mich hören?«
Keine Antwort.
Ismail kam wieder aus der Höhle.
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