Die Nomadengott-Saga 01 - Der Nomadengott
dramatische Wendung genommen.
»Ich habe es dir gleich gesagt, Raffim, es war keine gute Idee, den Umweg über die Pyramiden zu machen. Wir könnten längst in Sicherheit sein.« Seshmosis’ Stimme klang verbittert.
»Rechthaberischer Nörgler! Es war Schicksal, wir mussten hierher kommen. Ich bin unschuldig«, entgegnete Raffim und ließ noch ein »wie immer« nachklappern.
Bevor die beiden richtig in Streit geraten konnten, wurden alle Tajarim von den Soldaten unsanft auf die Knie gezwungen. Der Pharao persönlich nahte.
Dieser Mann wusste, wie man eine Situation inszenierte. Die Tajarim sahen aus einer kleinen Senke zu ihm auf, hinter ihm ragten die Pyramidengiganten des Chufu und des Chafre empor. Ein Bild wie für ein Historiengemälde.
Seshmosis spürte, wie seine Kehle immer trockener wurde.
»Wer ist euer Anführer?«, wollte der Kommandant der Soldaten wissen.
Seshmosis hoffte, dass sich Raffim wie immer vordrängen würde, aber er täuschte sich. Ganz im Gegenteil. Der Dicke deutete mit dem Finger auf ihn: »Der da!«
Seshmosis spürte einen Stoß gegen sein Hinterteil. »Steh auf!«
Schnell befolgte er den Befehl und stand nun mit gesenktem Haupt in der Sonne.
Pharao Ahmose selbst ergriff das Wort: »Wie ist dein Name?«
Seshmosis erschrak. Es war eine unglaublich hohe Stimme, die Stimme eines Kastraten. Wie wollte der eine Dynastie gründen? Dennoch riss sich der Schreiber zusammen.
»Seshmosis, hoher Herr.«
»Nicht Moses?«
»Nein. Seshmosis. Sesh und dann ein Mosis daran, ich bin der Sohn des Sesh, nicht Moses, hoher Herr.«
»Gibt es jetzt schon zwei von dieser Sorte?«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, hoher Herr.«
»Seid ihr das auserwählte Volk?«
»Ich weiß immer noch nicht, was Ihr meint, hoher Herr. Wir sind jedoch weder auserwählt noch ein Volk. Wir sind ein paar Leute aus Theben.«
»Ihr seid keine Ägypter!«
»Wie man es nimmt, hoher Herr. Ich wurde in Ägypten geboren wie auch mein Vater und der Vater meines Vaters. Bis vor ein paar Wochen kannte ich nichts anderes als Theben und seine Umgebung.«
»Und doch seid ihr Hyksos!«
»Wer weiß schon, wer er ist, hoher Herr? Außer Euch natürlich.«
Seshmosis’ Schwitzen kam nicht nur von der prallen Sonne.
»Wollt ihr mit uns feilschen?« Drohend erhob der Pharao sein Zepter.
»Nein, keineswegs, hoher Herr. Ich meine nur, meine Vorfahren waren seit vielen, vielen Generationen in diesem Land. Wir lieben es.«
»Das können wir euch nicht mehr gestatten!« Ahmose blickte herrisch über die Schar der Tajarim. »Von nun an werdet ihr eure Schritte nur noch gen Sonnenaufgang richten. Wenn nicht«, der Pharao ergriff eine Ritualaxt, die ihm ein Hofschranze reichte, »wird unser Zorn über euch kommen. Wir selbst werden jedem Einzelnen von euch den Kopf abschlagen!«
Dabei schwenkte er die Axt über dem Kopf von Seshmosis hin und her.
Seshmosis musste an viele, viele Reliefs denken, die er gesehen hatte und in denen Pharaonen ihre Heldentaten verewigen ließen. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie endlose Darstellungen von zerhackten Körpern und gespaltenen Schädeln zeigten.
»Wir werden unverzüglich aufbrechen, hoher Herr«, versicherte er schnell.
»Wir trauen euch nicht! Von nun an wird euch unsere Eskorte beobachten. Wehe dem, der seinen Schritt nach Sonnenuntergang richtet, denn ihn wird das Gericht der Mafdet treffen!«
Mafdet, die Göttin der rächenden Strafgewalt, genoss den Ruf besonders scharfer Werkzeuge zur Durchsetzung des Rechts. Vor allem des Rechts des Pharaos.
Seshmosis nickte stumm ergeben. Was soll’s?, dachte er sich. Wir wollen sowieso weg. Ob sie uns dabei beobachten oder nicht, ist völlig egal.
Als er den Blick wieder nach oben richtete, war der Pharao samt Hofstaat verschwunden. Zurück blieben Soldaten, in deren Augen die Hoffnung glimmte, einer der Tajarim werde in die falsche Richtung gehen.
Der Auszug aus Ägypten
Die Eskorte der ägyptischen Soldaten erwies sich durchaus als Vorteil. Sie brauchten weder Diebstähle noch Überfälle fürchten. Das Vieh der Tajarim fand unterwegs im Nildelta genug zu fressen, und sie kamen schnell voran.
Die Tajarim schlugen ihr Lager an den Ufern des Sees Timsah auf, nördlich des Großen Bittersees. Östlich davon lag die Halbinsel Sinai mit ihrer unendlichen Steppe und darin einer lebensfeindlichen Wüste. Sie aber wollten von hier aus nordwärts ziehen, bis zur Küste des Mittelmeers und immer weiter nach Norden, bis sie
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