Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Essen?«
»Dort ist jemand, Fürst. Ich sah eine Bewegung«, flüsterte Seshmosis.
»Es ist nur deine Angst, die dich täuscht. Hier ist niemand außer uns.«
In diesem Augenblick ertönte ein tiefe Stimme von draußen: »Legt die Waffen nieder und verlasst mit erhobenen Händen die Höhle!«
Die Achäer fluchten und blickten ängstlich zu ihrem Anführer.
»Die Höhle ist leicht zu verteidigen, und mit all der Nahrung können wir es hier tagelang aushalten«, sagte Odysseus leise. »Wir müssen nur darauf hoffen, dass unsere Kameraden bald nach uns suchen und uns befreien. Notfalls können sie unsere anderen Schiffe von der Ziegeninsel zur Verstärkung holen.«
Die Männer nickten zustimmend; zwei von ihnen postierten sich mit gezückten Schwertern am Eingang.
Doch niemand versuchte in die Höhle einzudringen. Kurz darauf hörte man ein Poltern und Knirschen, dann schob sich ein schwarzes Etwas vor den Eingang, und alles versank in Finsternis.
»Wir sitzen in der Falle!«, rief jemand in Panik. »Sie haben die Höhle verschlossen, sie wollen uns ersticken!«
Schlagartig fiel jegliche Todessehnsucht von Seshmosis ab. Er wollte leben! Vorsichtig berührte er den Ledersack an seiner Seite. Eine vertraute Stimme erklang in seinem Kopf: »Ich bin bei dir, aber verrate es nicht den anderen. Nimm etwas Käse und beruhige dich.«
»Fürst, was sollen wir nun tun?«, fragte einer der Achäer verzweifelt.
»Ich muss nachdenken«, antwortete Odysseus, und seine Stimme klang nicht sehr zuversichtlich.
Einer der Männer am Eingang ertastete inzwischen das Hindernis, dann rief er: »Es ist ein großer Stein. Kommt her! Wir wollen versuchen, ihn wegzudrücken!«
Doch der Versuch, in dem schmalen Eingang die Kraft aller Krieger einzusetzen, endete nur mit einigen Quetschungen. Dann befahl Odysseus den Männern, die Höhle zu ertasten, um zu erkunden, ob es vielleicht noch einen weiteren Zugang oder einen Lüftungsschacht gab. Doch auch diese Mühen waren vergebens.
Seshmosis spürte, wie sich Resignation ausbreitete.
Dann ergriff der Fürst von Ithaka das Wort. »Männer, uns bleibt nur zu warten. Es tut mir leid, dass ich uns in diese Situation gebracht habe. Ich hätte taktisch klüger vorgehen müssen. Aber wer kann schon ahnen, dass diese Kyklopen so hinterhältig sind. Ach, ich wollte, mein Name wäre nicht Odysseus, sondern Oudeis, wie mich meine Amme immer scherzhaft genannt hat. Oudeis bedeutet Niemand. Dann würden meine Krieger dort draußen sagen, Niemand ist schuld, dass sie in der Höhle festsitzen. Und ihr könntet sagen, Niemand trägt die Verantwortung, Niemand hat uns ins Verderben gestürzt.«
Dann schwieg auch der Fürst, und die Erschöpfung übermannte die Eingeschlossenen. Bald schon hörte Seshmosis von allen Seiten lautes Schnarchen.
*
Seshmosis wusste nicht, wie viele Stunden sie schon in der Dunkelheit saßen. Der Duft des Käses war längst nicht mehr betörend, sondern betäubend. Der Schreiber döste vor sich hin, und er musste wohl eingeschlafen sein, weil er plötzlich erwachte. Seshmosis öffnete die Augen, doch er sah nichts. Es war immer noch stockfinster. Dann erinnerte er sich an seinen Traum. Vorsichtig drückte er auf seinen Ledersack und formulierte in Gedanken: »Herr, ich hatte einen wunderbaren Traum von einer Wiese mit vielen Schafen unter einem blauen Himmel. Es war merkwürdig, denn ich habe die Schafe sprechen gehört.«
Sogleich formte sich in seinem Kopf eine Frage: »Was haben sie denn Merkwürdiges erzählt?«
»Sie haben gar nichts Merkwürdiges erzählt, eher das Übliche. Von saftigem Gras, vom Bock der letzten Brunft und von Wölfen. Sie reden viel über Wölfe, wenn sie nicht gerade fressen oder du weißt schon, was sie sonst noch tun. Merkwürdig war, dass ich die Sprache der Schafe verstand.«
»Das ist überhaupt nicht merkwürdig, mein Prophet.
Immerhin atmest du seit Stunden den Geruch von Käse ein, der von Schafen stammt. Dieser besteht aus Milch, der Nahrung der Lämmer. Mit der Milch nehmen die Jungen Wissen, Erfahrungen, Erinnerungen und Gefühle des Mutterschafs auf. So lernen sie alles, was sie fürs Leben wissen müssen.«
Auf einmal hörte Seshmosis ein Poltern, und dann fiel gleißende Helligkeit in die Höhle. Der Schreiber blinzelte gegen das Licht und sah am Eingang eine große dunkle Gestalt stehen.
»Seid ihr jetzt bereit, die Waffen niederzulegen und mit erhobenen Händen herauszukommen?«, fragte die gleiche Stimme, die sie
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