Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
zuvor schon gehört hatten. »Wir wollen nämlich nicht, dass eure verrottenden Kadaver unseren Käse verderben!«
Leise sagte Odysseus zu seinen Männern: »Wir ergeben uns, vorerst. Bestimmt finden wir eine Gelegenheit zur Flucht.«
Klirrend ließen die Achäer ihre Waffen fallen und gingen mit erhobenen Händen zum Ausgang. Ängstlich verließ Seshmosis als Letzter die Höhle. Als sich seine Augen wieder an die Helligkeit gewöhnt hatten, musterte er ihre Bezwinger. Sie waren groß, sehr groß. Mindestens zwei Köpfe größer als er selbst und kräftig gebaut. Die Kyklopen waren also wirklich Riesen. Allerdings stellte er fest, dass sie zwei Augen besaßen. Dabei hatte Homeros steif und fest behauptet, Kyklopen würden nur über ein Auge in der Mitte der Stirn verfügen. Doch es überraschte ihn nicht. Zu oft schon hatte er erlebt, dass über fremde Völker die wunderlichsten Dinge berichtet werden. Einmal hatte ihn in Byblos ein Mann sogar gefragt, warum er, Seshmosis, als Ägypter denn keinen Vogel- oder Krokodilkopf habe.
Die Kyklopen banden ihren Gefangenen die Hände auf dem Rücken zusammen, und einer kontrollierte Seshmosis' Ledersack. Doch als er festgestellt hatte, dass er leer war, gab er ihn dem Schreiber zurück.
Dann trieben die Riesen sie mit dem stumpfen Ende ihrer Speere durch den Wald. Nach einem langen Fußmarsch auf einem Trampelpfad erreichten sie eine Bucht. Dort befand sich eine Siedlung mit Hafen, die man schon als kleine Stadt bezeichnen konnte.
Die Häuser waren aus Stein gebaut, und Seshmosis entdeckte auf dem Weg durch das Städtchen einige Werkstätten und Schmieden und auch einen kleinen Markt.
Man führte die Gefangenen in das größte Gebäude und stieß sie in der Halle zu Boden. Kurz darauf erschienen weitere Kyklopen, an ihrer Spitze ein wahrer Gigant, der auf dem Kopf einen Reif mit einer großen Scheibe trug. Diese prangte wie ein mächtiges Auge mitten auf seiner Stirn. Der Mann nahm auf einem Thron Platz und erhob seine Stimme:
»Ich bin Polyphem, der Erste unter Gleichen, Führer der Kyklopen. Ihr seid Käsediebe, doch will ich eure Namen wissen!«
Mit einem schnellen Blick bedeutete Odysseus seinen Männern zu schweigen. Seshmosis hielt sich bedeckt im Hintergrund.
»Ich bin Fürst Oudeis«, behauptete Odysseus listig. »Es ist ein sehr seltener Name, aber mein Vater und mein Großvater hießen auch schon so.«
Polyphem sah Odysseus mit einem durchdringenden Blick an.
»Fürst Käsedieb, habt Ihr in Troja nicht genug Beute gemacht, um unseren Käse zu bezahlen? Und habt Ihr nicht auch Ismaros, die Stadt der Kikonen, geplündert? Ihr solltet genug Geld besitzen, um nicht stehlen zu müssen. Nachrichten haben schnelle Beine, Fürst Käsedieb, auch wenn sie per Schiff zu uns gelangen.«
Odysseus staunte. Er hatte wirklich gedacht, die Kyklopen wären ein primitives Volk fern aller Zivilisation und ohne Kontakt zu irgendwelchen Nachbarn. Dass diese Menschen, die er lediglich für größere Tiere gehalten hatte, ihn auch noch verspotteten, verletzte seinen Stolz und erzürnte ihn.
»Ihr habt alles nur den Göttern zu verdanken!«, schrie Odysseus wütend.
»Richtig! Wir verdanken alles den Göttern, genau wie ihr. Nur dass uns die Götter zu allen anderen Gaben auch noch Manieren geschenkt haben, Sohn des Laertes, den man Odysseus nennt!«
Nun war Odysseus vollends verblüfft. Dieser Polyphem war wirklich gut informiert, gefährlich gut informiert.
Der Fürst setzte zu einer Erklärung an, doch der Anführer der Kyklopen fuhr ihm über den Mund und befahl ihm zu schweigen. Stattdessen wandte er sich Seshmosis zu.
»Du trägst keine Rüstung, du scheinst kein Achäer zu sein. Warum bist du bei ihnen? Haben sie dich versklavt?«
»Nein, ich bin nicht ihr Sklave, edler Herr. Mein Name ist Seshmosis, ich bin ein Schreiber und gehöre zu einer Gruppe Handelsreisender aus Byblos, die zufällig auf Odysseus und seine Männer gestoßen ist.«
Seshmosis beschloss vorsichtig zu sein und seinen Aufenthalt in der Troas nicht freiwillig zu erwähnen. Er befürchtete, dass sich die Rolle der Tajarim und ihres hölzernen Pferdes beim Fall von Troja schon bis zu den Kyklopen herumgesprochen hatte.
Auch wenn Polyphem dies schon wusste, ließ er es sich nicht anmerken. Er dachte kurz nach, dann befahl er: »Werft die Achäer in den Kerker! Und du, Seshmosis, darfst dich unter Aufsicht in der Stadt frei bewegen, sie aber nicht verlassen! Wir müssen erst beraten, was weiter
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